Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Weltmeister in Trümmern
0:2 gegen Südkorea – Erst nach dem WM-Aus überzeugen die Nationalspieler mit Klartext
KASAN - Unfassbar, unglaublich. Lesen Sie diese Zeilen laut vor, um es wirklich zu begreifen. Deutschland ist gescheitert, fährt nach der Vorrunde der WM nach Hause. Ausgeschieden durch ein blamables, peinliches 0:2 (0:0) gegen Südkorea, gegen den 57. der FIFA-Weltrangliste. Kim traf in der Nachspielzeit nach Videobeweis – kein Abseits wie zuvor gepfiffen. Dann erhöhte Son auf 2:0. Kim! Son! Aus!
Und ist dies kein Super-, dies ist ein Mega-GAU. Der größte anzunehmende Unfall einer deutschen Nationalelf bei einer WM. Ein Aus in der Vorrunde gab's noch nie. NIE! NIE! NIE! Ideen-, willen- und kampflos präsentierte sich das Team, von einer Reaktion keine Spur. Kapitän Manuel Neuer schien anschließend resigniert zu haben, als er sagte: „Spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns. Wir haben in keinem Spiel richtig überzeugt, wo wir sagen können, das war die deutsche FußballNationalmannschaft. Das ist bitter und erbärmlich.“Bundestrainer Joachim Löw war konsterniert. „Ich muss überlegen, woran es lag, dafür bin ich natürlich verantwortlich.“Die Mannschaft sei vor dem Mexikospiel womöglich etwas „selbstherrlich“gewesen. Abwehrchef Mats Hummels ging da schon einen Schritt weiter: Wir „haben aber den Ball nicht reingebracht. Wir hatten genug Gelegenheiten. Das hat uns heute das Genick gebrochen.“Um dann festzustellen: „Das letzte überzeugende Spiel, das wir abgeliefert haben, war im Herbst 2017. Das ist ein bisschen lange her.“
Weil Schweden im Parallelspiel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte den Deutschen auch ein Punkt gegen die Asiaten nicht gereicht. Muss Löw nun zurücktreten, obwohl er seinen Vertrag erst vor der WM bis 2022 verlängert hatte? Wie viele Spieler werden nun zurücktreten? Auf wie viele wird, ja muss Löw oder ein neuer Bundestrainer beim Neuaufbau nicht mehr setzen? Es brechen unruhige Zeiten an, nun droht das, was man nach der 0:1 Auftaktpartie gegen Mexiko wortreich verhindern wollte: Die Mannschaft könnte sich gegenseitig zerfleischen.
Man hat sich verzockt, Löw hat sich mit der Aufstellung verzockt, dachte schon an die nächste Runde, gar an die nächsten Spiele. Eine dramatische Fehleinschätzung. Durch dieses gesamte Turnier zog sich die Einstellung, dass man es schon irgendwie irgendwann im Spiel immer schaffen werde. Weil man ja Weltmeister ist. Weil man ja der Titelverteidiger ist. Dass es noch immer gut gegangen ist? Ein Trugschluss. Eine fatale Attitüde der Überheblichkeit. Auch körperlich wirkten die DFBStars Der Anfang vom Ende – der Ball zappelt im Netz,Young-gwon Kim (li.) jubelt, Torwart Manuel Neuer scheint zu ahnen, was noch kommt. nicht fit, konnten keinen Gang hochschalten. Ein weiteres Armutszeugnis.
Die Körpersprache der Mannschaft im Spiel gegen die flinken und fleißigen Südkoreaner war erschreckend schwach, kein Aufbäumen, keine Emotionen – erst als sich wieder eklatante Lücken in der Rückwärtsbewegung im Mittelfeld auftaten, gifteten die Spieler sich gegenseitig an. Der Zoff, den es nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Mexiko innerhalb
„Das ist bitter und erbärmlich.“
Manuel Neuer
des Teams gegeben hatte, brach wieder auf und droht nun nach dem Scheitern zu eskalieren.
Man lebte beim DFB in der eigenen Welt des Weltmeister-Kokons, wollte keinerlei Warnschüsse – ob durch die eigene Leistung oder die Reaktionen in der Heimat von Fans, Medien und Experten wahrnehmen. Betriebsblind. Arrogant. Fatale Fehler. Schon die schwachen Vorbereitungsspiele gegen Österreich (1:2) und gegen Saudi-Arabien (2:1) hatte man immer weiter schöngeredet, tat auch die vier sieglosen Duelle mit den Großen des Fußballs vom Herbst bis ins Frühjahr hinein (0:0 in England, 2:2 gegen Frankreich, 1:1 gegen Spanien, 0:1 gegen Brasilien) einfach so ab. Man werde schon wieder auf den Punkt da sein, wenn es losgeht, zur WM. Der nächste Trugschluss. Diese Mannschaft hätte schon gegen Mexiko viel höher verlieren können als nur 0:1, sie war gegen die Schweden über 20 Minuten lang schon ausgeschieden, erst das famose Freistoßtor von Toni Kroos in der Nachspielzeit wahrte die Chance. Zu wenig, alles zu wenig.
Oder, um es mit Thomas Müller zu sagen: „Wir stehen jetzt mit heruntergelassener Hose da.“
Südkorea:
Jo – Y. Lee, Yun, Y. Kim, Hong – Jang – J. Lee, Koo (56.
Hwang/79. Ko), W. Jung, Mun (69. Ju) – Son. – Neuer – Kimmich, Süle, Hummels, Hector
(78. Brandt) – Khedira (58. Mar. Gomez), Kroos – Goretzka (63. Müller), Özil, Reus – Werner. – Tore: 1:0 Young-gwon Kim (90.+3 nach Videobeweis), 2:0 Son
(90.+6). – Zuschauer: 41 835.
Deutschland: