Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zur Person Joker
Das einzig Berechenbare an Anthony Kennedy ist seine Unberechenbarkeit, so lautet eine Faustregel. Anders als bei seinen Kollegen am Supreme Court waren seine Urteile oft unvorhersehbar: konservativ, aber pragmatisch. 1987 ernannte Präsident Ronald Reagan ihn – doch er war kein Garant dafür, dass die Republikaner Reagans ihre Agenda vor Gericht durchsetzen konnten.
Viele Amerikaner verbinden mit dem 81-Jährigen daher die Erinnerung an Zeiten, als die Gräben der amerikanischen Politik nicht unüberbrückbar waren. Wen immer Donald Trump als Nachfolger vorschlägt, die Personalie dürfte für einen markanten Rechtsruck stehen. Und der dürfte jahrelang halten: Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt.
Seit gut einem Jahr steht es, grob skizziert, vier gegen vier, bei einem Joker. Vier Richter sind eindeutig dem konservativen Lager zuzurechnen, vier dem progressiven. Kennedy, stets für Überraschungen gut, war das Zünglein an der Waage. Die Frage, ob schwule Paare heiraten dürfen und rechtlich gleichgestellt sind, beantwortete er mit einem klaren Ja. Bei der Wahlkampffinanzierung ermöglichte er durch sein Votum Unternehmern, reichen Privatleuten und Gewerkschaften Spenden in unbegrenzter Höhe. Trotzdem: Festnageln ließ sich Kennedy eigentlich nie.
Trump hat nunmehr die Gelegenheit, ein Versprechen für eine wichtige Wählergruppe einzulösen: evangelikale Christen. Mit Neil Gorsuch ernannte er bereits kurz nach Amtsantritt einen Richter, wie ihn sich das konservative Amerika gewünscht hat. Folgt nun ein zweiter Gorsuch auf Kennedy, womöglich ein relativ junger, wird das lange nachwirken. Kein Wunder, dass die Demokraten von einer Schicksalsstunde sprechen. Chuck Schumer, die Nummer eins der Opposition im Senat, ruft dazu auf, die Entscheidung erst nach den Kongresswahlen im November zu treffen. Sollte es seiner Partei gelingen, den Republikanern die Mehrheit im Senat abzunehmen, hätte sie gute Chancen, Trump einen Strich durch die Rechnung zu machen. Frank Herrmann