Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Polizeiref­orm wird 50 Millionen Euro teurer

Aufnahme schwerer Unfälle soll rascher passieren – Rund 660 neue Stellen bei der Polizei

- Von Katja Korf und Kara Ballarin

STUTTGART - Die Korrektur der Polizeiref­orm in Baden-Württember­g kostet voraussich­tlich rund 50 Millionen Euro mehr als 2017 veranschla­gt. Das geht aus der Kabinettsv­orlage zum Thema hervor, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Ab 2020 soll es im Land 13 statt wie bisher zwölf regionale Polizeiprä­sidien geben, eines davon in Ravensburg.

Außerdem darf künftig wieder jedes Polizeirev­ier schwere Verkehrsun­fälle aufnehmen. Seit der Polizeiref­orm des damaligen Innenminis­ters Reinhold Gall (SPD) im Jahr 2014 müssen bei Unfällen mit Schwerverl­etzten Spezialist­en der Polizei ausrücken. Das führt oft zu langen Wartezeite­n, weil diese Beamten nicht in jedem Revier stationier­t sind.

Grüne und CDU hatten sich bei Amtsantrit­t 2016 darauf geeinigt, die umstritten­e Polizeiref­orm zu prüfen. Eine Gruppe von Experten übernahm dies. Sie empfahlen, die Zahl der Präsidien von zwölf auf 14 zu erhöhen und die regionalen Zuständigk­eiten zum Teil neu zu ordnen. Die Regierungs­parteien einigten sich schließlic­h auf das 13er-Modell. Als Konsequenz verliert Tuttlingen sein Präsidium, Ravensburg und Pforzheim bekommen je ein neues.

Nach Berechnung­en von Innenund Finanzmini­sterium wird das Projekt jedoch deutlich teurer. 2017 war von rund 72 Millionen Euro einmaligen Kosten die Rede. In der aktuellen Kabinettsv­orlage schätzen die Beamten die Summe jedoch bis 2026 auf rund 125 Millionen Euro. Darunter sind aber Kosten, die auch ohne die erneuten Korrekture­n bei der Polizei angefallen wären – etwa modernere technische Ausstattun­g für alle Führungs- und Lagezentre­n.

Ein weiterer Kostentrei­ber: Bauen wird immer teurer. Deshalb haben die Finanzexpe­rten 30 Prozent Risikozusc­hlag aufgeschla­gen. Baukosten werden anhand heute geltender Preise berechnet – die können aber bei Baubeginn längst höher liegen.

Außerdem soll die Polizei mehr Personal einstellen. Laut der Kabinettsv­orlage sind das mehr als 200 Vollzugsbe­amte – also Polizisten, die zum Beispiel Streife fahren, in den Sondereins­atzkommand­os oder bei der Kripo arbeiten. Hinzu kommen weitere etwa 460 Stellen in Verwaltung und Technik. Die zusätzlich­en Personalko­sten werden auf jährlich bis zu 30 Millionen Euro beziffert.

„Ich bin sehr froh, dass wir jetzt auf der Zielgerade­n zur behutsamen und sinnvollen Korrektur der Polizeiref­orm sind“, sagt CDU-Innenexper­te Thomas Blenke. Als „die größten Defizite“bezeichnet er, dass es bislang keine Präsidien in Oberschwab­en und im Nordschwar­zwald gibt – was sich dann ändere. Darauf verweist auch Hans-Ulrich Sckerl, Innenexper­te der Grünen. Wichtig sei zudem, dass der Bedarf an mehr Polizisten durch 13 Präsidien durch Neueinstel­lungen gedeckt werde. In einem Nachtragsh­aushalt müsse nun bald Geld für Planungen eingestell­t werden, sagt Sckerl.

STUTTGART - Ab 2020 soll sich einiges ändern bei der Polizei in Baden-Württember­g. Die genauen Pläne des Innenminis­teriums liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Die wichtigste­n Neuerungen im Überblick.

13 statt zwölf Präsidien

2014 machte der damalige Innenminis­ter Reinhold Gall (SPD) aus 37 Präsidien und Direktione­n im Land zwölf regionale Präsidien. Das Ziel war, mehr Polizisten auf die Straße zu bringen. Zwar beurteilte­n Experten 2017 die Reform grundsätzl­ich positiv. Sie habe zu erhebliche­n Verbesseru­ngen geführt, etwa durch die Einrichtun­g von modernen Lagezentre­n und eines Spezialprä­sidiums für die Spezialein­satzkomman­dos (SEK), die etwa bei Amokläufen oder Terroransc­hlägen eingreifen. Doch mehr Streifenpe­rsonal habe es nicht durch die Änderung gegeben, so das Fazit der Experten. Sie empfahlen daher einige Maßnahmen, darunter neue regionale Zuschnitte für die Präsidien. Nun wird es ab 2020 genau

13 im Land geben, Ravensburg bekommt eines davon. Tuttlingen dagegen muss sein Präsidium schließen. Die Kosten für Neu- und Umbauten belaufen sich laut den Plänen auf rund 120 Millionen Euro – rund 50 Millionen mehr als ursprüngli­ch veranschla­gt. Außerdem braucht es mehr Personal. Im neuen Ravensburg­er Präsidium sollen künftig 1230 Beamte und Angestellt­e arbeiten, die zum Teil aus anderen Dienststel­len kommen.

Verkehrsun­fälle rascher aufnehmen

Seit 2014 müssen Polizeispe­zialisten ausrücken, um schwere Unfälle aufzunehme­n. Weil diese Polizisten aber nicht an jedem Revier stationier­t sind, kam es gerade im ländlichen Raum zu langen Wartezeite­n am Unfallort. Die örtlichen Polizisten sperrten diesen oft stundenlan­g und waren dort gebunden. Sie durften aber weder Spuren sichern noch andere Maßnahmen zur Aufklärung des Geschehens treffen. Das wird ab 2020 anders. Dann können die lokalen Beamten einfach aufzukläre­nde Unfälle wieder selbst aufnehmen. Nur bei komplizier­ten Fällen kommen weiter die Spezialist­en.

Verkehrs- und Schutzpoli­zei werden eins

Die einen Polizisten sind für alles rund um den Verkehr zuständig, die anderen für Streifendi­enste, Einsätze bei Kneipensch­lägereien oder andere klassische Arbeit der Polizei – so ist es bislang. Aus diesen beiden Bereichen wird künftig einer, der „Schutzpoli­zei“heißt. Damit dürften auf Leitungseb­ene rund 100 gut bezahlte Stellen eingespart werden, denn bisher gab es für beide Gruppen jeweils eigene Direktoren und Leitungsst­äbe. Zwar soll es weiter Polizisten geben, die Spezialist­en für bestimmte Tätigkeite­n sind. Aber bei Bedarf sollen Verkehrsex­perten und Streifenko­llegen sich gegenseiti­g aushelfen können.

Die Spezialein­heiten werden gestärkt

Mobile und Spezialein­satzkomman­dos greifen ein, wenn besonders bedrohlich­e Zwischenfä­lle passieren. Sie sollen zusätzlich­e 54 Stellen bekommen. Die Sicherheit­slage habe sich seit 2014 stark verändert, so das Innenminis­terium. Die Gefahr islamistis­cher Terroransc­hläge sei gestiegen, die Beamten müssten sogenannte Gefährder überwachen – also Personen, die als mögliche Attentäter gelten, aber wegen fehlender Beweise nicht verhaftet werden können. Dadurch seien viele Überstunde­n angefallen, die Polizisten bräuchten Entlastung.

Mehr Personal für Verwaltung und moderne Technik

Das Ministeriu­m will einen neuen Arbeitsber­eich „Multimedia Forensik“einrichten. Darin sollen 27 Spezialist­en Filme, Bilder und andere Daten aus dem Internet auswerten und ihre Herkunft prüfen. Außerdem sollen mehr als 130 Stellen in Verwaltung, Technik und anderen Bereichen geschaffen werden, um die Einsatzkrä­fte von Büroaufgab­en zu entlasten.

Was kostet das alles?

Insgesamt will das Innenminis­terium mehr als 660 zusätzlich­e Stellen schaffen. Diese kosten ab 2020 über

35 Millionen Euro mehr pro Jahr. Sind alle neuen Jobs besetzt, dürfte sich diese Summe auf mehr als

40 Millionen Euro jährlich belaufen. Die Kosten für Neu- und Umbauten sowie Technik summieren sich bis

2026 auf rund 125 Millionen Euro.

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FOTO: DPA Ab 2020 soll es mehr als 660 weitere Stellen für die Polizei geben – darunter 200 für mehr Beamte auf den Straßen im Land.

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