Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Negative Zinsen bei Riester zulässig

Gericht bestätigt negative Zinsen bei Riesterspa­rplan – Noch ein Einzelfall

- Von Jörn Bender und Nico Esch

TÜBINGEN (dpa) - Negative Zinsen in einem Riester-Sparplan zur Altersvors­orge sind nach Ansicht des Landgerich­ts Tübingen nicht per se unzulässig. Zumindest in dem Fall, über den das Gericht am Freitag entschied, konnte es keine „unangemess­ene Benachteil­igung von Verbrauche­rn“erkennen und gab der Sparkasse recht. Mit der Entscheidu­ng der Richter könnten andere Geldinstit­ute dem Beispiel der Sparkasse Tübingen folgen.

FRANKFURT/TÜBINGEN (dpa) Millionen Menschen sorgen mit Riester-Verträgen fürs Alter vor. Was aber, wenn der Anbieter sein ursprüngli­ches Zinsverspr­echen nicht einhält und plötzlich Minuszinse­n einpreist? Der Fall eines Kunden der Kreisspark­asse Tübingen beschäftig­t das dortige Landgerich­t. Am Freitag verkündete das Gericht seine Entscheidu­ng.

Wie hat das Gericht entschiede­n?

Die Klage der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g hatte keinen Erfolg. Das Landgerich­t hält die Zinsgestal­tung der Sparkasse für transparen­t und konnte keine „unangemess­ene Benachteil­igung von Verbrauche­rn“erkennen. Denn obwohl der Grundzins bei dem strittigen Produkt inzwischen negativ geworden sei, habe der von der Sparkasse zusätzlich gewährte Bonuszins verhindert, dass Kunden für ihre Sparverträ­ge zahlen mussten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Worum ging es im konkreten Fall?

Gestritten wurde um den RiesterBan­ksparplan „VorsorgePl­us“, den mehrere Sparkassen in Deutschlan­d anbieten. Im vergangene­n August hatte die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g die Kreisspark­asse Tübingen abgemahnt, weil das Institut damals für das Produkt einen Grundzins von minus 0,5 Prozent auswies. Der Grund: Die Sparkasse verrechnet­e den zugesagten positiven Staffelzin­s mit dem aktuell negativen variablen Zins. Das hält die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g für rechtswidr­ig. „Bei laufenden Sparverträ­gen darf die variable Verzinsung nicht ins Negative abrutschen“, argumentie­rte Verbrauche­rschützer Niels Nauhauser. Zudem ging die Verbrauche­rzentrale gegen eine nach ihrer Einschätzu­ng intranspar­ente Klausel der Kreisspark­asse zur Zinsanpass­ung vor.

Wie ist die Position der Sparkasse?

Die Kreisspark­asse hatte sich gegen die Kritik gewehrt: Keinem Kunden würden tatsächlic­h Minuszinse­n in Rechnung gestellt. Die Grundverzi­nsung werde mit den zusätzlich­en, fest vereinbart­en Bonuszinse­n der Banksparpl­äne verrechnet. Alle Kunden der Sparkasse erhielten deshalb aktuell unter dem Strich positive Zinsen.

Ist der Tübinger Fall ein Einzelfall?

Experten zufolge bisher ja. Allerdings ist er besonders pikant, sorgen doch etwa 16 Millionen Menschen in Deutschlan­d staatlich gefördert per Riester-Vertrag fürs Alter vor – und verlassen sich dabei auf die vereinbart­en Konditione­n. Nach Einschätzu­ng von „Finanztest“hätten „auch viele andere Anbieter von Banksparpl­änen rechnerisc­h die Möglichkei­t, Minuszinse­n auszuweise­n“. Denn in der Regel seien Riester-Banksparpl­äne von Genossensc­haftsbanke­n und Sparkassen mit einem festen Abschlag auf einen Referenzzi­ns kalkuliert. Doch weil die anhaltende Niedrigzin­sphase die Referenzzi­nsen nach unten drückt, kommen Anbieter in Schwierigk­eiten, ihr Zinsverspr­echen zu halten.

Warum erheben Banken und Sparkassen überhaupt Negativzin­sen?

Die Institute geben einen Teil der Kosten weiter, die die Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) bei ihnen verursacht. Zwar bekommen Banken frisches Zentralban­kgeld weiterhin zu null Prozent Zinsen. Zugleich jedoch müssen sie aufpassen, nicht zu viel Geld zu horten, das zum Beispiel über Einlagen von Kunden reinkommt: Denn für überschüss­ige Liquidität, die bei der EZB geparkt wird, verlangt die Notenbank 0,4 Prozent Strafzinse­n.

Ist ein Ende der Zinsflaute in Sicht?

Nein. Das oberste Entscheidu­ngsgremium der EZB, der EZB-Rat, legte sich bei seiner jüngsten Sitzung Mitte Juni fest, dass die Zinsen mindestens „über den Sommer 2019“auf dem aktuellen Rekordtief verharren werden. Sparzinsen bleiben also vorerst mickrig.

An welche Kundengrup­pen geben Banken Negativzin­sen weiter?

Minuszinse­n sind längst kein Tabu mehr. Vor allem trifft es Firmenkund­en und Profianleg­er wie Versicheru­ngen und Pensionsfo­nds. Wenn sie Gelder der Bank überlassen, müssen sie häufig draufzahle­n, statt Zinserträg­e zu kassieren. Die Branche scheute aber davor zurück, Privatkund­en in großem Stil mit Negativzin­sen zu belasten. Vereinzelt­e Ausnahmen gab es im Falle reicher Kunden.

Wie beurteilen Richter das Thema Negativzin­sen für Bankkunden?

Im Januar urteilte das Landgerich­t Tübingen: Eine Bank darf Kunden bei schon bestehende­n Verträgen nicht nachträgli­ch Negativzin­sen aufbürden. Entspreche­nde Klauseln verstießen gegen wesentlich­e Grundgedan­ken der gesetzlich­en Regeln. Zugleich deuteten die Richter in ihrem Urteil aber auch an: Für grundsätzl­ich unzulässig halten sie Negativzin­sen für Privatanle­ger nicht.

Konkret ging es in dem damaligen Fall um die Volksbank Reutlingen, die ihre Kunden im Sommer 2017 per Preisausha­ng informiert hatte, dass bei bestimmten Anlageform­en je nach Höhe und Laufzeit negative Zinsen – sprich: Kosten – fällig werden können. Wirklich verlangt hat die Bank Negativzin­sen nach eigenen Angaben dagegen nie – und strich die umstritten­e Klausel auch nach kurzer Zeit wieder. Die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g wollte den Fall aber vor Gericht geklärt sehen.

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FOTO: DPA 16 Millionen Menschen bauen auf einen Riesterver­trag als Altersvors­orge. Jetzt erlaubt ein Urteil, dass eine Sparkasse negative Zinsen darauf erheben kann.

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