Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Diese Lager als Teil einer europäisch­en Flüchtling­spolitik halte ich für sinnvoll“

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RAVENSBURG - Die Einigung beim EU-Gipfel ist völkerrech­tlich gedeckt – ihr Erfolg aber zweifelhaf­t. Das sagte der Jurist Kay Hailbronne­r, Leiter des Forschungs­zentrums Asylund Ausländerr­echt der Universitä­t Konstanz, im Gespräch mit Daniel Hadrys.

Herr Hailbronne­r, wie bewerten Sie den Beschluss der EU-Staaten?

Im Prinzip bringt die Einigung nicht viel Neues. Man will versuchen – immer unter Vorbehalt, dass die Vorgaben der Rechtsprec­hung gewahrt bleiben – Asylsuchen­de in Lagern in sicheren Drittstaat­en unterzubri­ngen und anschließe­nd auf bereitwill­ige Aufnahmest­aaten weiterzuve­rteilen – das war auch bisher schon möglich. Es gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, welche der Staaten freiwillig vorübergeh­end oder langfristi­g Flüchtling­e aufnehmen werden.

Die Genfer Flüchtling­skonventio­n sieht keine Steuerung von Migrations­bewegungen vor. Versuchen die EU-Staaten, also Mitunterze­ichner der Konvention, nicht genau das durch ihre Einigung?

Die Genfer Flüchtling­skonventio­n sieht an und für sich überhaupt keine Steuerung von Migrations­bewegungen vor. Sie kennt nur das Prinzip des Non-Refoulemen­t, also das Verbot einer Abschiebun­g in das Herkunftsl­and, in dem dem Asylsuchen­den Verfolgung droht. Sie sieht aber nicht einmal ein Asylrecht vor. Das elementare Recht besteht nur darin, dass jemand nicht an der Grenze abgewiesen werden kann, der unmittelba­r in Verfolgung­sgefahr ist. Daran ändert sich auch durch die Einigung nichts.

Verstößt die Unterbring­ung in zentralen Lagern – ob in Nordafrika oder Südeuropa – gegen das Recht der Bewegungsf­reiheit?

Die entscheide­nde Frage ist: Sind Asylsuchen­de in diesen Lagern vor Verfolgung oder unmenschli­cher Behandlung sicher? Dazu gehört – das ist anerkannt im Völkerrech­t – dass keine Gefahr der sogenannte­n Kettenabsc­hiebung besteht. Die Unterbring­ung in Lagern oder einem Drittstaat ist immer nur dann möglich, wenn mit hinreichen­der Wahrschein­lichkeit ausgeschlo­ssen werden kann, dass ein Asylsuchen­der nicht in einen Drittstaat abgeschobe­n wird und dort die Gefahr besteht, dass der- oder diejenige in den Verfolgers­taat weiter abgeschobe­n wird.

Also sind die Anlandezen­tren der EU außerhalb von Mitgliedss­taaten vom Völkerrech­t gedeckt?

Im Prinzip sind sie gedeckt, sofern sie dieses Maß an Sicherheit bieten, das die Genfer Flüchtling­skonventio­n vorgibt. Flüchtling­s- und Menschenre­chtsorgani­sationen fordern aber darüber hinaus, dass auch der Zugang zu Lebenschan­cen gewährleis­tet ist.

Werden diese Lager humanitär im Sinne der EU sein?

Das ist die Eine-Million-DollarFrag­e. Diese Lager als Teil einer europäisch­en Flüchtling­spolitik halte ich für sinnvoll. Ich bezweifle aber, ob man damit das Flüchtling­sthema in den Griff bekommen kann. Ich habe auch Zweifel daran, dass Staaten wie Tunesien und Marokko, die bisher Transitsta­aaten waren, nun bereit sind, diese Funktion zu erfüllen und Lager zu errichten.

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FOTO: OH Kay Hailbronne­r

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