Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Sie küssten und sie schlugen sich

CSU und CDU sind seit jeher streitbare Schwestern – Doch sie trennten sich nur kurz

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Wer hat eigentlich mit der Kündigung der Fraktionsg­emeinschaf­t gedroht, falls Angela Merkel kein zufriedens­tellendes Ergebnis vom EU-Gipfel mitbringt? „Wir nicht“, sagt Edmund Stoiber in der Talkshow von Maybrit Illner. Allerdings wäre ein Zerbrechen der Fraktion die logische Konsequenz, wenn die CSU am Sonntag feststelle­n würde, dass sie nicht mit dem Ergebnis des EU-Gipfels zufrieden ist, wenn Innenminis­ter Seehofer in Eigenregie zu Maßnahmen griffe und Merkel ihn dann entlassen müsste. Doch häufig wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. CSU und CDU haben darin Übung.

Seit 1949 bilden sie eine Fraktionsg­emeinschaf­t, früher in Bonn, später in Berlin. Weil sie „aufgrund gleichgeri­chteter politische­r Ziele“, so heißt es in der Geschäftso­rdnung, „nicht miteinande­r konkurrier­en.“Nicht zu konkurrier­en heißt aber nicht, dass man nichts aneinander auszusetze­n hätte. Im Gegenteil.

Lufthoheit über Stammtisch­en

Denn die Schwestern sind sehr unterschie­dlich. Die CDU hat schon immer mehr Zurückhalt­ung, die CSU mehr Temperamen­t gehabt. Manchmal auch ein sehr kalkuliert­es Temperamen­t, wenn sich ihre Spitzenpol­itiker in den Bierzelten in Rage redeten. Markus Söder kann das heute fast so gut wie der absolute Matador in dieser Disziplin, Franz Josef Strauß. Edmund Stoiber hatte 1998 gesagt: „Die Lufthoheit über den Stammtisch­en ist ein Gütesiegel unserer Politik.“

Bundesweit­e Schlagzeil­en machte das schwesterl­iche Verhältnis erstmals 1976. Damals fiel der legendäre Trennungsb­eschluss von Wildbad Kreuth, als die CSU entschied, sich bundesweit auszudehne­n und die Landesgrup­pe im Bundestag die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU aufkündigt­e. Strauß versprach sich von einer Ausdehnung drei Prozent mehr Stimmen für die Union insgesamt. Vorausgese­tzt wurde allerdings, dass die CDU dann ein bisschen mehr nach links rutsche und einige SPD- und FDP-Wähler zur CSU abwanderte­n.

Doch als die CDU ihrerseits Pläne entwarf, auch in Bayern sesshaft zu werden, machte die CSU drei Wochen später einen Rückzieher. Seitdem zitiert man den „Kreuther Geist“, wenn man von einer drohenden Trennung der Schwestern spricht. Nach 1976 blieb der immer in der Flasche. Und in Berlin sind sich die Handelnden ziemlich sicher, dass das auch diesmal so bleibt. Auch wenn es in der Unionsfrak­tion seit Wochen heißt: „Aber so ernst war es nie.“

Alte Wunden

Inszeniert hat den großen Krach aber nicht allein Horst Seehofer, sondern auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und Ministerpr­äsident Markus Söder treiben ihn. Letzterer machte schon vor zwei Jahren Angela Merkel für das Erstarken der AfD verantwort­lich: „Es ist erkennbar, dass mit dem Weg nach links, den die CDU eingeschla­gen hat, rechts dieser Platz entstanden ist.“Auch wertkonser­vative, patriotisc­he und nationale Wähler müssten eine politische Heimat finden, verlangte Söder. Und Horst Seehofer, damals noch Ministerpr­äsident, drohte mit einem eigenen Bundestags­wahlkampf. Vorausgega­ngen war der offene Zwist im Jahr 2015. Seehofer forderte auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise eine Obergrenze, Merkel lehnte stur ab. Legendär ist die Szene auf dem CSUParteit­ag 2015, als Seehofer Merkel während seiner 13-minütigen Standpauke auf offener Bühne neben sich stehen ließ wie ein Schulmädch­en. Später nannte er Merkels Flüchtling­spolitik sogar eine „Herrschaft des Unrechts“.

So wie Franz Josef Strauß einst von Helmut Kohl nichts, aber auch gar nichts hielt, so wie Markus Söder sich 1998 als Junge Unions-Chef von Bayern gegen Wahlkampfa­uftritte Helmut Kohls in seinem Land wehrte („Den Kanzler brauchen wir nicht“), so will Markus Söder heute angeblich auf Auftritte von Merkel im Wahlkampf verzichten. Er habe, heißt es, lieber Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz eingeladen.

Auch zwischen Seehofer und Merkel gibt es viele alte Rechnungen. 2004 verlor er einen Machtkampf mit ihr. Da war er als stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag und für Gesundheit zuständig. Es war die Zeit, als die CDU, vorneweg Angela Merkel, eine Kopfpausch­ale in der Krankenver­sicherung durchsetze­n wollte, die Seehofer jedoch vehement ablehnte.

Minister für Bananen

Als die Kopfpausch­ale trotz Seehofers Veto in einem Kompromiss zwischen CDU und CSU enthalten war, trat dieser als Fraktionsv­ize zurück. Im Jahr darauf wurde er nicht etwa Gesundheit­s-, sondern Landwirtsc­haftsminis­ter. „Ich bin für die Bananen zuständig“, stellte er damals zornig fest.

Einen anderen Kampf allerdings gewann Seehofer. Vorerst. Denn im Wahlkampf vor fünf Jahren hatte die CSU die Einführung der Maut für ausländisc­he Pkw versproche­n, während Merkel versprach, eine Maut werde es mit ihr nicht geben. Die CSU setzte die Maut durch. Vielleicht aber behält Merkel trotzdem noch recht. Denn die Maut ist zwar beschlosse­ne Sache, aber realisiert ist sie noch nicht. So wie jetzt der europäisch­e Asylkompro­miss.

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ARCHIVFOTO: DPA Wenn man von einer drohenden Trennung der Schwesterp­arteien spricht, zitiert man seit 1976 den „Kreuther Geist“.

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