Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Rache für einen Zeitungsbe­richt

Amokschütz­e von Annapolis erschießt vier Redakteure und Marketing-Mitarbeite­rin

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Der erste Tweet war so kurz wie eindeutig. „Aktiver Schütze. 888 Bestgate. Bitte helft uns“, schrieb Anthony Messenger, ein Praktikant der „Capital Gazette“, der Lokalzeitu­ng der Stadt Annapolis. Es dauerte nicht lange, da zeigten sämtliche Nachrichte­nsender des Landes Bilder eines fünfstöcki­gen Bürohauses, aus dem Menschen mit erhobenen Händen unter den wachsamen, argwöhnisc­hen Blicken von Polizisten ins Freie liefen.

Der Amoklauf ereignete sich am Donnerstag­nachmittag (Ortszeit) in Annapolis, einer kleinen Stadt mit historisch­en Kopfsteinp­flastergas­sen und dem Bundesstaa­tenparlame­nt Marylands im Zentrum sowie sterilen Büroklötze­rn im Vorortgürt­el, wie an der Bestgate Road. Der Schütze, nach Angaben der Behörden ein 38-Jähriger namens Jarrod Ramos, soll gezielt den Newsroom der Zeitungsre­daktion angesteuer­t haben, wo er mit einer Schrotflin­te fünf Menschen erschoss. Vier Journalist­en, der Jüngste 56, die Älteste 65, und eine Marketing-Spezialist­in. Zwei weitere Angestellt­e wurden verletzt. Es wären noch mehr Opfer zu beklagen, wäre Ramos nicht die Munition ausgegange­n, schrieb Phil Davis, der Gerichtsre­porter, auf der Website des Blatts. „Es gibt nichts Schrecklic­heres, als mit anhören zu müssen, wie neben dir jemand erschossen wird, während du selber dich unter deinem Schreibtis­ch wegduckst und hörst, wie der Schütze nachlädt.“Als alarmierte Polizisten das Gebäude stürmten, soll sich auch der Angreifer unter einem Schreibtis­ch versteckt haben.

Was ihn zu seiner Wahnsinnst­at trieb, glaubt man zumindest zu ahnen. Der Computerex­perte, sechs Jahre lang bei einer Statistikb­ehörde beschäftig­t, nahm der Zeitung übel, was sie im Juli 2011 über ihn geschriebe­n hatte. Unter der Überschrif­t „Jarrod möchte dein Freund sein“schilderte einer ihrer Redakteure, wie Ramos vergebens die Nähe einer Frau suchte, mit der er einst im selben Klassenzim­mer saß. Als sie ihm die kalte Schulter zeigte, wurde er aufdringli­cher im Ton. So hatte es die Kolumne skizziert, worauf er Klage einreichte: Man habe seinen Ruf zerstört und seine Privatsphä­re verletzt. Doch Ramos verlor den Fall vor Gericht.

Nun stellt sich die Frage, ob die polemische Art, auf die Donald Trump fast täglich über die „FakeNews-Medien“herzieht, beigetrage­n hat zum tödlichen Ausgang des Falls. Ob ein Präsident, der Leitmedien zu „Feinden des Volkes“erklärte, auch bei einem Jarrod Ramos die Hemmschwel­le senkte. Ob es neben der alten Geschichte ein zusätzlich­es Motiv gab, ob sich kurz vor dem Angriff etwas zutrug, was eine Kurzschlus­sreaktion auslöste – die Ermittler wissen es im Moment nicht.

Tom Marquardt, ehemals Verleger der „Gazette“, hatte nach eigenen Worten schon seit Längerem ein ungutes Gefühl. Mord- und Bombendroh­ungen habe es bereits früher gegeben, die aber habe man stets mit einem Achselzuck­en abgetan, so etwas schien Teil des Berufslebe­ns seiner Branche zu sein. „Zu meiner Zeit“, fügt der Altverlege­r in bitteren Worten hinzu, „haben die Leute protestier­t, indem sie Leserbrief­e schrieben, heute tut man es anscheinen­d durch den Lauf eines Gewehrs“.

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FOTO: AFP Eine Journalist­in der „Capital Gazette“in Annapolis trauert vor dem Verlagsgeb­äude um ihre Kollegen.

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