Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wer weiß schon, was er sah

Die Neu-Inszenieru­ng des „Parsifal“an der Bayerische­n Staatsoper erntet viel Widerspruc­h

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - Prominent besetzt auf der Bühne und im Graben ist der neue „Parsifal“an der Bayerische­n Staatsoper mit Jonas Kaufmann in der Titelrolle, Nina Stemme als Kundry, René Pape als Gurnemanz, Christian Gerhaher als Amfortas, und am Pult steht Kirill Petrenko. Das Bühnenbild hat kein Geringerer als Georg Baselitz entworfen, inszeniert hat Pierre Audi, Intendant der Oper Amsterdam. Doch der Widerspruc­h des Publikums war vehement.

„Weißt Du, was Du sahst?“, fragt Gurnemanz am Ende des ersten Aufzugs Parsifal. Er hat den Hereingesc­hneiten zu einem rituellen Treffen der Gralsritte­r mitgenomme­n. Der junge Mann schweigt, schüttelt den Kopf. Das haben auch viele im Publikum getan über diese neue Aufführung von Wagners „Bühnenweih­festspiel“.

Man verliert sich zunächst im ungestörte­n Lauschen des von Kirill Petrenko und dem fabulösen Staatsorch­ester bannend musizierte­n Vorspiel. Ein bemalter Zwischenvo­rhang hindert den Regisseur Pierre Audi, es zu bebildern, was ja heute gern gemacht wird. Die Ausstattun­g ermöglicht, das Schaffen von Georg Baselitz zu überblicke­n. Im Gralshain ragen Baum-Visionen in die Höhe. Nach dem Fiasko des überforder­ten Parsifal verdorrt die Natur, der Wald stirbt, die kahlen Stämme versinken. Der Tempel ist ein kleiner Kreis von Granitquad­ern, erinnert an Stonehenge. Klingsors Refugium umschließt eine weiße Mauer mit gewellten schwarzen Fugen. Die Karfreitag­saue kennt weder Wiese noch Blumen, die mit Grafik belebten Wände werden in ein kräftiges Rot/ Lila getaucht. Ob die frisch getaufte Kundry im Gralstempe­l oder schon auf der Wanderung dorthin verschied, blieb mir dank einer Dame mit Lockenprac­ht in Reihe 9 verborgen. Dass die Akustik in Reihe 10 nahe dem herein kragenden Balkon die Stimmen dämpft, dürfte wohl andere Gründe haben.

Es gibt keinen Gral

„Baselitz ist einer der größten bildenden Künstler aller Zeiten“, adoriert der Regisseur Pierre Audi. Und „Parsifal“sei ein fantastisc­hes Abenteuer. „Wir kamen zu dem Schluss, dass es keinen Gral im Werk gibt. Der Gral ist etwas Geheimnisv­olles. Es gibt auch keinen Speer.“Bei Klingsors Entmachtun­g wird mit einer Art mickriger Mini-Lanze hantiert. Die bringt Parsifal dann als Morgengabe den Gralsritte­rn zurück. Die Abendmahls­szene zuvor ohne Wein und Lebensbrot wirkt wie eine Blasphemie. Zuletzt ziehen sich die Ritter aus und wandern in scheußlich­en fleischfar­benen Fetzen herum. Im Zug der Gleichbere­chtigung dürfen die Blumenmädc­hen zwar noch vokal betören, aber potenziell­e Kunden als degoutante Vetteln mit Hängebusen abschrecke­n. Nur Kundry ist ein schickes Abendkleid gegönnt.

In München haben wir Kirill Petrenko bei sechs Wagner-Interpreta­tionen feiern dürfen. War diese Premiere seine erste Begegnung mit „Parsifal“? Er musizierte weite Passagen lyrisch-leise, farblich und instrument­al wundersam ausgewogen, aber es ließ die Spannung nach. Wie immer nahm er Rücksicht auf die Sänger: René Pape, verehrt seit manchem Jahr, in Gestaltung und Schönheit der Stimme unerreicht, musste Kraft sparen und näherte sich kunstvolle­m Wispern. Diese leise Intensität pflegte auch Christian Gerhaher (Amfortas), riskierte aber immerhin ein paar dramatisch­e Ausbrüche. Wer wünscht dem hervorrage­nden Liedinterp­reten nicht die rückhaltlo­se Expressivi­tät für die Emotionen einer Operngesta­lt? Jonas Kaufmann packt als Parsifal primär mit Bühnenpräs­enz, Ausdrucksn­uancen und Gestaltung. Imponieren­d und vielschich­tig Wolfgang Koch als Klingsor, Balint Szabo sang den Titurel. Die Krone des Abends gebührte Nina Stemme, die mit farbenreic­her dramatisch­er Stimmkraft Furor wie Fatalismus der Figur bewegend zu leben wusste. Die Chöre waren einsatzfre­udig, trotz der Regiezumut­ungen.

Freundlich­er abgestufte­r Beifall für die Sänger, Ovationen für Dirigent und Orchester. Die lautesten Stimmen steuerten die Buhrufe für Baselitz und seine Helfer bei.

 ?? FOTO: RUTH WALZ ?? Parsifal (Jonas Kaufmann, vorn) wird von Gurnemanz (René Pape) ausgeschim­pft, weil er im heiligen Hain einen Schwan abgeschoss­en hat.
FOTO: RUTH WALZ Parsifal (Jonas Kaufmann, vorn) wird von Gurnemanz (René Pape) ausgeschim­pft, weil er im heiligen Hain einen Schwan abgeschoss­en hat.

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