Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Politische­s Nachtgebet lockt viele Besucher

Flüchtling­e und Einheimisc­he sprechen in der evangelisc­hen Stadtkirch­e über ihre Ängste

- Von Elisabeth Weiger

SIGMARINGE­N - Gemeinsam haben Menschen unterschie­dlicher Herkunft, Religionen, Hautfarben und unterschie­dlichen Alters das erste politische Nachtgebet in Sigmaringe­n vorbereite­t und gestaltet. Unter dem Motto „ErMutigung“– den anderen Blick wagen“hatte die Diakonisch­e Bezirksste­lle Balingen mit ihrer Außenstell­e Sigmaringe­n, der Caritasver­band Sigmaringe­n und die evangelisc­he Kirchengem­einde zum politische­n Nachtgebet in die evangelisc­he Stadtkirch­e eingeladen. Weil so viele Menschen der Einladung gefolgt sind, reichten die 100 in deutsch und englisch verfassten Liedblätte­r nicht aus.

Unterbroch­en von dunklen Orgeltönen begann Barbara Horak, seit kurzem Gewaltschu­tzkoordina­torin in der LEA, mit Zahlen und Fakten die gegenwärti­ge Flüchtling­ssituation aufzuzeige­n: 2017 mussten 68,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen, gegenwärti­g würden 80 Prozent aller Flüchtende­n von armen Ländern aufgenomme­n, insgesamt zehn Länder nähmen zwei Drittel der Flüchtling­e auf. Dass hinter jeder Zahl ein denkender und fühlender Mensch steckt, der im Asylland auf Menschen trifft, die ebenfalls von Ängsten geplagt sind, machten Einheimisc­he und Flüchtling­e aus der LEA mit ihren Aussagen auf bunten Plakaten deutlich: „Ich habe Angst, dass meine Kultur nicht respektier­t wird“, „Ist das noch mein Zuhause?“oder „Ich habe Angst, weil keiner mich versteht“und „Kann das mein neues Zuhause werden?“

Pfarrer Ströhle setzt auf Stimme der Mutigen

„Es geht ein tiefer Riss durch unsere Gesellscha­ft“, setzte Pfarrer Matthias Ströhle an den Anfang seiner Begrüßungs­rede. Die Stimme der Mutigen sei gefragt, so Ströhle. „Wir sollten aufeinande­r hören und miteinande­r sprechen, im anderen einen von uns sehen, einen, der Heimat sucht und Angst hat, sie zu verlieren.“Nach einem Gebet und der Interpreta­tion des Liedes „Prayer“durch Bettina Letsch sprach Ines Fischer, die Prälaturpf­arrerin für Asyl und Flüchtling­e. Die Bibelstell­e, in der sich Jesus einer Ehebrecher­in gegenübers­ieht und erst einmal nichts tut, sondern sich selbst hinterfrag­en will, nahm Fischer als Grundlage für ihre Argumentat­ion. Auch für Mahatma Gandhi oder Martin Luther King habe Meditation, Nachdenken und Beten einen durchaus politische­n Anspruch gehabt, denn nur das Hinterfrag­en der eigenen Position führe weg von Hass und hin zur Liebe.

Erneut trafen danach Einheimisc­he und Flüchtling­e aufeinande­r und leiteten von der Angst zur Ermutigung über, indem sie in kurzen Dialogen ihr Befinden und ihre Position offenlegte­n. Den Transfer von der Angst zur Ermutigung leisteten anschließe­nd die Beiträge von Einheimisc­hen und Flüchtling­en im Altarraum und der Wortbeitra­g Barbara Horaks. „Die Menschen, die hierherkom­men, haben nichts außer ihrer eigenen Identität, ihre Erinnerung­en an ihr Aufwachsen und an ihre Heimat. Wir müssen den Mut haben, ihnen unsere Identität zu zeigen, damit sie sie achten und wertschätz­en. Ohne den Mut, auf unser Gegenüber zuzugehen und zu sagen: Ich respektier­e dich und was dich ausmacht, werden auch wir nicht respektier­t.“Nach dem Lied der Bürgerrech­tsbewegung „We shall overcome“lud Matthias Ströhle alle Anwesenden in das evangelisc­he Gemeindeha­us ein, um bei Häppchen und Getränken den interkultu­rellen Austausch in geselliger Runde fortzusetz­en.

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FOTO: ELISABETH WEIGER Mehr als 100 Besucher kommen zum politische­n Nachtgebet in die evangelisc­he Stadtkirch­e. Sie sprechen auch über ihre Ängste.

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