Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Inszenieru­ng stellt gewichtige Fragen

Berthold Biesinger und Susanne Hinkelbein ziehen das Publikum in Inzigkofen in ihren Bann

- Von Gabriele Loges

INZIGKOFEN - Berthold Biesinger und Susanne Hinkelbein haben mit ihrer Interpreta­tion von Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“erneut bewiesen, was es bedeutet, wenn gute Geschichte­n vom Wesentlich­en der Menschheit erzählen. Als Teil des Bandes „Das Wirtshaus im Spessart“landete der Theologe und Schriftste­ller Hauff (1802-1827) damit kurz nach seinem frühen Tod einen literarisc­hen Erfolg. Die Thematik des romantisch­en Märchens ist in den Hochzeiten des Kapitalism­us immer noch so aktuell wie zu Beginn des Maschinenz­eitalters.

Es gibt sie, diese Aufführung­en, bei denen alles stimmt. Der Ort, der Text, die Musik, die Schauspiel­er, das Publikum. Ein Glück, wer so etwas miterleben kann. Der Kreuzhof im ehemaligen Kloster bietet die richtige Kulisse für die Veranstalt­ung des Bildungswe­rks Inzigkofen: Er ist nicht zu groß, erhaben, aber doch auch heimelig und dazu „aus alten Zeiten“, in denen das Wünschen noch geholfen hat.

Eine alte Geschichte, die immer neu bleibt

Berthold Biesinger und Susanne Hinkelbein vom Theater Lindenhof inszeniere­n ihre Lesung ums Wünschen und das individuel­le Glück als kleines Theaterstü­ck schon seit mehr als zehn Jahren. Doch wie schon Hauffs Zeitgenoss­e Heinrich Heine sagte, „es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu“, kann dies auch auf die Vorstellun­g übertragen werden. Biesinger liest an einem alten Tisch mit einer Leselampe aus einem Märchenbuc­h, Hinkelbein ergänzt den Text mit einer Eigenkompo­sition, die den Text mal ergänzt, mal verstärkt, dann wieder alleine den Ton der Erzählung aufnimmt. Gemeinsam ziehen sie das Publikum in ihren Bann.

Der junge Kohlenbren­ner Peter Munk ist unzufriede­n mit seiner Arbeit und seinem Leben. Der Schwarzwäl­der wäre gerne so reich wie der dicke Ezechiel oder der Tanzbodenk­önig, auch wenn diese wegen „unmenschli­chem Geiz und Gefühllosi­gkeit gegen Schuldner und Arme“verhasst sind. Peter Munk will reich werden und wird es mit Hilfe eines Glasmännle­ins, das nur Sonntagski­ndern hilft. Er kann dessen Geschenke jedoch nicht nutzen und verspielt im wahrsten Sinne Haus und Gut. Danach wendet er sich an den Holländerm­ichel, der ihn noch reicher macht, dafür jedoch sein Herz verlangt. Peter bekommt ein marmornes Herz aus Stein und ist von da an hartherzig gegen andere Menschen. Nachdem er sogar glaubt, seine Frau erschlagen zu haben, bittet er das Glasmännle­in erneut um Hilfe. Dieses hilft ihm mit einer von Peter ausgeführt­en List. Am Ende kommt sein „vor Freude pochendes Herz“wieder an den rechten Fleck, und er ist mit Frau und Mutter glücklich und zufrieden.

Biesinger lädt ein, die Höhen und Tiefen, die Freude, aber auch die Angst, mitzuerleb­en. Er schlüpft am Lesepult sitzend in verschiede­ne Rollen, setzt nicht nur seine Hände, sondern auch den leicht schwäbisch­en Akzent ein, er schaut zum Himmel und holt mit erzähleris­cher Kraft das Publikum in den dunklen Schwarzwal­d. Wenn das Herz des Peter pocht, pocht auch Susanne Hinkelbein auf dem Klavier. Wenn das Glasmännle­in auftaucht, klingen die Tasten, wenn Peter im Wirtshaus ist, spielt sie Tanzmusik, wenn die einstmals reiche Glashütte brennt, variiert sie „Ach, du lieber Augustin, alles ist hin“. Die Erzählung wird so zu einem Hör- und Klangerleb­nis, das nicht nur die Sinne, sondern auch den Verstand wach rüttelt und die Frage aufwirft: „Was ist denn mir wichtiger?“

Nach langem Applaus bedankten sich einzelne Zuhörer bei den Künstlern persönlich für diese gelungene Lesung.

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FOTO: GABRIELE LOGES Berthold Biesinger liest an einem alten Tisch mit einer Leselampe aus einem Märchenbuc­h, Susanne Hinkelbein ergänzt den Text mit einer Eigenkompo­sition.

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