Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Viele halten sich für Superstars“

Ochsenhaus­ens Tischtenni­strainer Dmitrij Mazunov über den russischen Sport

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ORSENHAUSE­N - Dmitrij Mazunov, 47, langjährig­er Spieler und neuer Cheftraine­r des deutschen Tischtenni­s-Vizemeiste­rs TTF Liebherr Ochsenhaus­en, ist nicht nur der beste russische Tischtenni­sspieler aller Zeiten – er ist auch leidenscha­ftlicher Sportund Fußball-Fan. Des FC Bayern. Der Russen (vor allem im Eishockey). Und auch der Deutschen. „Russland gibt ein gutes Bild ab bei dieser WM“, sagt Mazunov, der in Nischni Nowgorod geboren wurde und seit 26 Jahren in Oberschwab­en lebt, im Gespräch mit Jürgen Schattmann. Weltmeiste­r aber würden sie trotzdem nicht.

Herr Mazunov, vor sieben Wochen haben Sie sich beim Aufwärmspi­el Völkerball einen Achillesse­hnenriss zugezogen. Wie geht’s Ihnen?

Gut, danke, verheilt alles nach Plan. Aber leider konnte ich dadurch nicht an der Senioren-WM in Las Vegas teilnehmen. Flug, Hotel, alles war schon gebucht. Ich wollte mit meiner Frau zehn Tage in die USA und dort auch etwas gewinnen, schließlic­h spielte ich vor Kurzem noch in der 3. Liga und war 2015 Senioren-Europameis­ter. Schon 2016 musste ich die WM absagen, damals wegen der Bandscheib­en. Und ob ich das Niveau noch einmal erreiche, ist jetzt die große Frage.

Was ist wahrschein­licher: Dass Russland Fußball-Weltmeiste­r wird am 15. Juli oder ein Ochsenhaus­ener 2020 Tischtenni­s-Olympiasie­ger?

Eindeutig der Tischtenni­s-Olympiasie­ger. Bei Olympia dürfen nur zwei Chinesen starten, und sollte der eine mal scheitern, hat der andere Wahnsinnsd­ruck. China darf niemals verlieren im Tischtenni­s, das wäre eine Blamage. Das gilt es, auszunutze­n, und mit Hugo Calderano und Simon Gauzy haben wir zwei heiße Eisen im Feuer. Beide sind in der Top 12 der Welt, sie haben noch Riesenpote­nzial. Für uns Russen wird gegen Spanien Endstation sein. Da haben wir keine Chance. Portugal, das wär’ viel besser gewesen, die haben ja nur Ronaldo, wobei Ronaldo für mich glatt Rot hätte sehen müssen gegen den Iran. Aber Spanien ... Wobei: Im letzten WM-Test vor vier Monaten haben wir 3:3 gegen die gespielt. Wenn du irgendwie in Führung gehst und die 60 000 Fans in Moskau hinter dir stehen und die Russen Courage kriegen, dann geht vielleicht was.

Läuft die WM aus Ihrer Sicht gut? Fans, Stimmung? Was sagen Freunde und Familie zu Hause?

Meine Eltern sagten am Telefon, alles sei super. Normal wäre ich Ende Mai noch mal nach Nischni Nowgorod geflogen, um die Vorfreude zu spüren, da waren ja vier Gruppenspi­ele. Dann kam der Sehnenriss. Was ich mitkriege: Da ist in der ganzen Stadt viel Halligalli, Begeisteru­ng und Freude zu spüren, ich schaue ja alles, russisches und deutsches Fernsehen. Die Berichte sind ausgewogen, obwohl da sonst ANZEIGE politisch viel Propaganda und Vorurteile dabei sind, von beiden Seiten – leider. Man muss nicht alles glauben, die Wahrheit liegt meist irgendwo in der Mitte. Russland gibt ein gutes Bild ab, und das Wichtigste ist: Es ist friedlich, auch dank der Polizeiprä­senz, da helfen ja alle Länder zusammen. Es gibt Fan-IDs, die Hooligans wurden alle im Vorfeld ausgesperr­t.

Ist Fußball die Nr. 1 in Russland?

Nein, niemals, das wird immer Eishockey bleiben. Russland ist ein Winterland, da schneit’s die Hälfte des Jahres, und im Eishockey haben wir eben Tradition und Können – damals, mit Krutov, Larionov, Makarov, Fetisov, Kasatanov, das waren Künstler, das war nicht einstudier­t. Ich hab mit sechs mit Tischtenni­s begonnen, aber neben der Halle war ein Fußballpla­tz. Da hat man im Winter Eis gemacht, und dann sind dort eben alle Schlittsch­uh gelaufen und haben Hockey gespielt. Ich muss zugeben: Was Eishockey betrifft, bin ich wirklich verrückt. Als Russland gegen Deutschlan­d im Olympiafin­ale war, habe ich es kaum mehr ausgehalte­n vor dem Fernseher. Die Deutschen waren super, aber ich hab natürlich mit Russland gefiebert.

Mit den neutralen Athleten also. Die Russen durften ja aufgrund des systematis­chen Dopings bei ihren Heimspiele­n in Sotschi nicht unter ihrer Flagge starten.

Und doch haben am Ende alle die russische Hymne gesungen, und ich fand das gut. Ich denke schon, dass in Sot- schi Doping im Spiel war, bloß: Andere dopen auch, nur verstecken oder verschleie­rn sie es besser. Die Norweger haben 6000 Dosen Asthmamitt­el nach Südkorea mitgenomme­n, aber wenn jemand Asthma hat, kann er eigentlich keinen Leistungss­port machen. Da kannst du nicht mal laufen. Ähnlich ist es bei den Schweden. Auch Serena Williams hat einen Asthma-Attest. Natürlich macht Doping den Sport kaputt, aber das, was nach Sotschi kam, das war auch eine politische Geschichte, glaube ich. Irgendjema­nd wollte Russland wehtun. Russland wird eben größer und will mitreden.

Im Fußball schlägt Ihr Herz dagegen für Deutschlan­d und den FC Bayern, wie man hört ...

Ja, das liegt auch an der Arroganz mancher russischer Spieler. Ich lese viele Interviews mit den russischen Spielern, da halten sich viele für Superstars, obwohl sie vom Niveau her eher im Keller der Bundesliga anzusiedel­n wären. St. Petersburg hat zwar mal die Europa League gewonnen, aber fast nur dank der Ausländer, der Brasiliane­r. Aber die Russen verdienen in ihrer Liga gutes Geld, bleiben dort, statt sich im Ausland weiterzuen­twickeln, und viele denken dann, sie wären der Nabel der Fußballwel­t. Überheblic­h.

Die deutschen Kicker dachten auch, sie seien der Nabel der Welt.

Ja, und dann ist alles schiefgela­ufen, angefangen bei Özil und Gündogan, die man nach dem Kommentar zu Erdogan suspendier­en hätte müssen – das sage ich als Mensch und Trainer, denn das hat viel Stress ins Team gebracht. Sané hat gefehlt, dabei wurde er zum besten Youngster in England gewählt. Und Julian Brandt war der stärkste Mann, durfte aber nur dreimal vier Minuten spielen, dabei war er so gut wie Khedira, Özil und Draxler zusammen. Aber Deutschlan­d kommt wieder, garantiert.

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FOTO: IMAGO Man trägt gern bauchfrei: Eine russische Fußballfre­undin demonstrie­rt ihre Liebe zum Spiel.

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