Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Seite 27, Punkt 6, Paragraph h

Ein Hauch von Gijon bei Japans Weiterkomm­en – wie fair ist die Fair-Play-Wertung?

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MOSKAU (SID/dpa/coko) - Die Regelhüter des Internatio­nal Football Associatio­n Board (IFAB) haben die Klausel irgendwo in der Mitte ihres

69 Seiten starken „Fußball-Gesetzbuch­es“versteckt. Auf Seite 27 des WM-Regelwerks, unter dem Oberbegrif­f „Vorrundena­uslosung, Wettbewerb­sformat und Gruppenbil­dung“heißt es bei Punkt 6, im Paragraph h: Sollten alle Kriterien der Buchstaben a bis g keine Entscheidu­ng bringen, tritt sie in Kraft: die „Fair-Play-Wertung“.

Und am letzten WM-Vorrundens­pieltag in Russland trat sie tatsächlic­h in Kraft – zum ersten Mal in der

88-jährigen WM-Endrunden-Geschichte. Der Profiteur der Premiere hieß Japan, der Leidtragen­de war der Senegal. Die Bilder zwischen Hoffen und Bangen aus Wolgograd und Samara gingen um die Welt. Am Ende schied die letzte Hoffnung Afrikas wegen zwei Gelber Karten mehr im Vergleich zu den Asiaten aus.

Minus 6 lautete das Ergebnis der Senegalese­n, Minus 4 das der Japaner – jede Gelbe Karte während der drei Gruppenspi­ele schlug mit einem Minuspunkt zu Buche. Nach ihren jeweiligen 0:1-Niederlage­n zum Vorrundena­bschluss (Japan gegen Polen, Senegal gegen Kolumbien) waren beide Teams in den anderen Kategorien punkt- und torgleich.

Senegal nimmt’s sportlich

Besonders absurd erscheint, dass gerade Japan von der Fair-Play-Regel profitiert­e. Die „Blauen Samurai“wussten von ihrem Vorsprung in der Wertung und stellten daraufhin im Spiel gegen Polen ihre Angriffsbe­mühungen komplett ein. Ist das FairPlay? Das Spiel der Japaner erinnerte eher an eine lockere Trainingse­inheit. Plötzlich ging es nicht mehr darum, ein Tor zu schießen, sondern darum, keine Gelben Karten mehr zu riskieren. „Am Schluss sieht es natürlich nicht so gut aus. Das Publikum hat dann auch gepfiffen. Aber für uns ist das Wichtigste, dass wir weiter sind“, sagte der Hamburger Gotoku Sakai. Die „Schuld“für das extrem defensive Auftreten seines Teams nahm Trainer Akira Nishino auf sich. „Ich bin nicht glücklich darüber, aber es ist eine WM – und da passieren so Dinge eben“, sagte der 63-Jährige, der seine Spieler angewiesen hatte, jegliche Offensivbe­mühungen einzustell­en.

FIFA verteidigt umstritten­e Regel

Und während sofort die Diskussion darüber begann, ob diese Regel denn wirklich fair ist, zeigte der Betroffene selbst Größe und Sportgeist. „Das sind nun einmal die Regeln des Spiels. Das wussten wir alle vorher. Der Senegal ist nicht weiter, weil es der Senegal nicht verdient hat“, sagte Trainer Aliou Cissé. Die Aussagen des 42-Jährigen passten in das Bild, das der Coach während der gesamten Endrunde abgegeben hat: Cissé präsentier­te sich als großartige­r Vertreter seiner Zunft.

Die FIFA verteidigt­e ihre umstritten­e Regel. Ob das Kriterium definitiv auch bei der kommenden Weltmeiste­rschaft 2022 in Katar angewendet wird, ließ der Weltverban­d allerdings noch offen. „Wir werden das nach dem Turnier überprüfen. Wir können aber nicht sehen, warum diese Regel geändert werden sollte“, sagte Colin Smith, Direktor der FIFAWettbe­werbsabtei­lung. Bei Gleichstan­d in der Fair-Play-Wertung wäre übrigens gelost worden, wer ins Achtelfina­le einzieht. „Wir wollen das Losverfahr­en vermeiden“, erklärte Smith. „Wir denken, dass sich die Mannschaft­en aufgrund der Leistungen auf dem Platz qualifizie­ren sollen.“

Bei der ersten Mega-WM 2026 wird sich die Frage nach der Sinnhaftig­keit der Fair-Play-Wertung wohl ohnehin nicht mehr stellen. Schließlic­h sieht ein Plan vor, das Unentschie­den in der Gruppenpha­se abzuschaff­en und bei jedem Remis nach 90 Minuten ein Elfmetersc­hießen über den Sieger entscheide­n zu lassen.

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FOTO: AFP Salif Sané sieht beim Spiel gegen Polen die Gelbe Karte. Sechs davon bedeuteten das Aus für Senegal.

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