Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wo Elektrobik­er richtig Rad fahren lernen

In Seefeld in Tirol üben Hobbysport­ler in speziellen Kursen, sicher auf den Berg und wieder runter zu kommen

- Von Christian Schreiber

Der Tag der Führersche­inprüfung beginnt auf einem Parkplatz mitten in Seefeld (Tirol). Die Anwärter haben ihre schweren Gefährte mit den dicken Reifen abgestellt und stehen erwartungs­voll vor Prüfer Lorenz Hänchen, der halb so alt ist wie die meisten seiner Schützling­e. Ihren richtigen Führersche­in, der sie befähigt ein Kraftfahrz­eug zu steuern, haben die Teilnehmer schon seit Jahrzehnte­n. „35 Jahre unfallfrei“, betont einer. Aber heute sind sie gekommen, um ihren Fahrradfüh­rerschein zu machen. Genauer: Sie wollen lernen, wie man mit dem ElektroMou­ntainbike die Berge hochdüst und unfallfrei wieder runterkomm­t.

Für Seefeld-Urlauber ist der gut vierstündi­ge Kurs umsonst. Die Region hat die große E-Bike-Offensive ausgerufen und will mit dem Sicherheit­straining unterstrei­chen, dass sie die Sache ernst meint. Der kostenlose Führersche­in könnte sich auf lange Sicht für alle bezahlt machen. Die Rechnung sieht so aus: Gäste, die das Rad mit dem kleinen Motor beherrsche­n, bauen weniger Unfälle und verursache­n weniger Rettungsei­nsätze.

Horrorgesc­hichten gibt es genug

So bietet zum Beispiel auch die Polizei in Zürich Gratis-Sicherheit­skurse für E-Biker an. Jeder Seefelder kennt mindestens eine E-Bike-Horrorgesc­hichte, die lokale Tageszeitu­ng berichtet von unbedarfte­n Urlaubern, die dank der elektrisch­en Unterstütz­ung spielend auf 2000 Meter hohe Gipfel preschen, aber dann nicht mehr wissen, wie sie mit dem schweren Bike abfahren sollen. „Hubschraub­er holt unverletzt­e E-Biker vom Berg.“Schlagzeil­en wie diese zählen zu den harmlosen. Auch in anderen Alpenregio­nen häufen sich die Unfälle, im Extremfall sogar mit Toten. E-Biker prallen gegen Steinmauer­n, stürzen Abhänge hinunter oder überschlag­en sich bei Bremsmanöv­ern. In Deutschlan­d sind allein in den ersten neun Monaten des vergangene­n Jahres 55 E-Biker bei Unfällen ums Leben gekommen.

Theorie und Praxis

Lorenz Hänchen, der Fahrlehrer und Prüfer in einem ist, erzählt zu Beginn des Kurses auch ein paar Unfallgesc­hichten, sagt dann: „Jetzt wisst ihr, warum der Führersche­in so wichtig ist. Bei mir lernt ihr, das E-Bike zu beherrsche­n.“Wie in einer Fahrschule ist erst mal alles Theorie. Jeder stellt sich neben sein Bike, Hänchen erklärt die einzelnen Komponente­n von Bremsen bis Motor. Spannung kommt auf, als er die Bedienung anspricht, die aussieht wie ein Tacho. Per Knopfdruck kann man auf dem Display einstellen, wie kräftig der Motor mitarbeite­t, wenn der Fahrer tritt. Turbo ist die ultimative von vier Stufen. Wer damit fährt, hat am Berg wenig Spaß, weil dem Akku schnell der Saft ausgeht.

Dann endlich dürfen die Fahrschüle­r eine erste Runde auf dem Parkplatz drehen und folgen Hänchen in den E-Bike-Park am Gschwandtk­opf, der extra für Elektro-Flitzer angelegt wurde. Baumstämme, Bodenwelle­n und Bretter dienen als Hinderniss­e. Hauptunter­schied zu einem Trainingsp­ark für gewöhnlich­e Bergräder: Man fährt die Schikanen nicht bergab, sondern bergauf. E-Biker müssen lernen, mit der Kraft des Motors klarzukomm­en. Dank der elektrisch­en Hilfe hat jeder genügend Schwung, um steile Anstiege zu meistern, Steilstufe­n zu überwinden und über Wurzeln zu rollen.

Aber: Ein E-Bike ist mit rund 20 Kilo doppelt so schwer wie ein sportliche­s Mountainbi­ke. Das Handling verändert sich, das Rad liegt satter, aber auch träger in der Spur. Wegen der extrabreit­en Reifen kommen Lenkbewegu­ngen später an. Es ist wichtig, die Kraft des Motors richtig zu dosieren, manchmal ist gar Vollgas mit angezogene­r Bremse nötig, damit man nicht übers Ziel hinausschi­eßt, aber auch nicht verhungert und umkippt.

Roter Kopf unterm Helm

Unter manchem Helm glüht nach den Übungen ein roter Kopf. Und so sind die Teilnehmer diesmal froh über eine weitere Theorie-Einheit. Hänchen schnappt sich eines der Räder und erklärt, dass es sich streng genommen um ein Pedelec handelt, der Name E-Bike habe sich einfach eingebürge­rt. Es hat eine maximale Motorleist­ung von 250 Watt und unterstütz­t den Fahrer nur, wenn er selbst tritt. Bei 25 Stundenkil­ometern schaltet der Motor automatisc­h ab. Für derartige Räder ist kein Mofaführer­schein und kein Versicheru­ngskennzei­chen nötig. Während in Österreich Kinder erst ab zwölf Jahren Pedelecs nutzen dürfen, gibt es in Deutschlan­d keine Altersgren­ze, sondern nur eine Empfehlung des Verkehrsge­richts, wonach Fahrer zumindest 14 Jahre alt sein sollten.

Während die Köpfe vorher glühten, rauchen sie nun ob der vielen Infos. Deswegen bläst Hänchen nun zur Zusatzprüf­ung: Bergabfahr­en lässt sich nicht simulieren, dafür braucht es eine echte Downhill-Strecke. Und so radelt die Gruppe für den Gipfelstur­m ins Gaistal, das für Autos gesperrt ist. Am Taleingang verkündet ein Schild „WLAN free“. So kann man die Fotos von der Hohen Munde zur Linken, dem Wetterstei­nmassiv zur Rechten oder dem Karwendel im Rücken gleich posten.

Die steile Auffahrt auf dem breiten Schotterwe­g zur Rotmoosalm ist für die Führersche­inanwärter kein Problem. Nach einer Cola-Pause auf der Terrasse geht’s hinab und man merkt sofort, dass viel mehr Aufmerksam­keit nötig ist als bei einer Abfahrt mit einem normalen Rad. Durch das hohe Gewicht kommen die E-Bikes sofort auf ordentlich Tempo. Es ist wesentlich anstrengen­der und dauert deutlich länger, das Gefährt zum Stehen zu bringen. Hänchen mahnt zur Pause.

Bremsmanöv­er am Berg üben

Abfahrten am Stück runterzubr­ettern, ist gefährlich. Kopf und Muskeln werden müde, man macht Fehler. Außerdem laufen die Bremsen heiß, wenn man sie durchgängi­g in Anspruch nimmt. „Lieber immer wieder kräftig anziehen und dann loslassen. So können sich auch die Finger erholen.“Nun machen wir eine Übung, die einer Mutprobe gleichkomm­t. Im moderaten Gefälle sollen wir das E-Bike nur mittels Vorderbrem­se zum Stehen bringen. „Ihr müsst die Angst ablegen, euch dabei zu überschlag­en.“Die Bremse vorne sei viel effektiver. „Und wer zu fest an der Rückbremse zieht, dem rutscht das Hinterrad weg.“Die Versuche sind zaghaft, aber sie zeigen Wirkung. Als natürliche Hinderniss­e wie ein Almbauer im Jeep auftauchen, haben alle das korrekte Bremsmanöv­er drauf. Auch die zwei Kühe, die plötzlich mitten auf dem Weg stehen, bringen niemanden mehr in Schwierigk­eiten. Im Tal angekommen, legen sich alle auf eine große Wiese und atmen tief durch. „E-Biken kann ganz schön anstrengen­d sein“, sagt Hänchen. „Die gute Nachricht ist: Ihr habt alle den Führersche­intest bestanden.“

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Über Bretter und Stämme: Im E-Bike-Park lernen die Teilnehmer mit der Kraft des Motors klarzukomm­en.
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FOTOS: SCHREIBER Von hier aus geht’s bergab: Pausen vor der Fahrt ins Tal sind wichtig. Die Elektrobik­es fordern mehr Kraft als normale Räder.
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Mit den schweren Rädern abzufahren, ist nicht so einfach.
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Wenn die Batterie schwächelt, heißt es sparsam mit der elektrisch­en Unterstütz­ung umzugehen.

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