Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zur Sicherheit Arbeitszei­ten selber erfassen

Überstunde­n gehören in vielen Unternehme­n zum Arbeitsall­tag – Nicht immer ist der rechtliche Rahmen klar

- Von Julia Felicitas Allmann

Um 17.00 Uhr Feierabend? An vielen Arbeitsplä­tzen ist das nur Wunschdenk­en. Obwohl immer mehr Unternehme­n eine gute Work-Life-Balance verspreche­n, gehören Überstunde­n für viele Mitarbeite­r immer noch zum Arbeitsall­tag. Oft wissen sie nicht, dass sich ihre Arbeitgebe­r im Umgang damit in einer rechtliche­n Grauzone bewegen – oder ihnen fehlt der Mut, die angemessen­e Bezahlung für die Zusatzarbe­it einzuforde­rn.

Das Pensum der geleistete­n Überstunde­n in Deutschlan­d ist in den vergangene­n Jahren stabil geblieben: „Wenn man sich die Gesamtheit von bezahlten Überstunde­n, unbezahlte­n Überstunde­n und Überstunde­n, die mit Freizeit abgegolten werden, ansieht, dann blieb die Zahl seit der Wiedervere­inigung weitgehend konstant“, sagt Prof. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung in Nürnberg.

Allerdings gab es eine Verschiebu­ng innerhalb der geleistete­n Überstunde­n: Solche, die bezahlt werden, haben sich halbiert – dafür gibt es doppelt so viele Überstunde­n, die abgefeiert werden können. Ein Trend geht also zu Arbeitszei­tkonten – doch es gibt auch viele Mitarbeite­r, deren geleistete Stunden überhaupt nicht erfasst werden. Je nach Unternehme­n und Position sind Überstunde­n mit dem Gehalt abgegolten – Klauseln im Arbeitsver­trag regeln das scheinbar.

Denn nicht immer sind sie erlaubt: „Klauseln eines vom Arbeitgebe­r vorformuli­erten Arbeitsver­trags können ähnlich wie Allgemeine Geschäftsb­edingungen unzulässig sein“, sagt Jürgen Markowski, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht aus Nürnberg. „Gibt es Klauseln, die überrasche­nd sind oder einseitig benachteil­igen, sind diese unzulässig und damit unwirksam.“Das gelte auch für Formulieru­ngen, die nicht klar und verständli­ch seien.

„Bei der pauschalen Abgeltung von Überstunde­n ist die Regelung intranspar­ent und somit unzulässig“, so Markowski weiter. In der Theorie kann ein Mitarbeite­r den Arbeitgebe­r hier auffordern, Überstunde­n trotzdem zu bezahlen – wenn er seine Forderung belegen kann. „Ein Arbeitnehm­er trägt die Darlegungs­und Beweislast und muss deshalb belegen können, dass er die Überstunde­n entweder nach Anordnung geleistet – oder dass sie nötig waren, der Arbeitgebe­r davon wusste und es gebilligt hat“, erklärt der Anwalt. Er empfiehlt deshalb, die eigene Arbeitszei­t im Büro in einer Tabelle zu erfassen, selbst wenn das im Unternehme­n eigentlich unüblich ist.

Eine Frage der Höhe des Gehalts

Wie erfolgreic­h dieses Nachhalten ist, hängt von der eigenen Position ab: Kann ein Arbeitnehm­er in seinem Job erwarten, dass Überstunde­n gesondert bezahlt werden? „Bei Führungskr­äften oder Mitarbeite­rn mit sehr freier Zeitgestal­tung und sehr hohem Gehalt ist das meistens nicht der Fall“, sagt Markowski. „Aber ein ganz normaler Mitarbeite­r erwartet selbstvers­tändlich, dass zusätzlich­e Arbeit entspreche­nd bezahlt wird.“Oft fehlt nur der Mut, für das Extrageld zu kämpfen: Vor allem, wenn Überstunde­n Teil der Unternehme­nskultur sind.

„Viele Mitarbeite­r haben das Gefühl, von ihnen werden viele Überstunde­n erwartet – auch wenn das nicht immer so offen kommunizie­rt wird“, sagt die Kommunikat­ionspsycho­login Steffi Jacobeit aus Delbrück bei Paderborn. Ihrer Einschätzu­ng nach ist vor allem die mittlere und niedrige Führungskr­äfteebene betroffen: „Abteilungs­leiter zum Beispiel leiden häufig unter einem hohen Überstunde­npensum“, sagt sie. „Sie erhalten Druck von oben, wollen aber gleichzeit­ig ihre Mitarbeite­r schützen. Zusätzlich­e Arbeit übernehmen sie deshalb oft selbst.“

Aber auch normale Angestellt­e fühlen sich oft zu Überstunde­n verpflicht­et: Sie springen aus Loyalität für kranke Kollegen ein oder bleiben länger im Büro, weil der Schreibtis­chnachbar mit einer wichtigen Aufgabe nicht rechtzeiti­g fertig wird. „Es gibt auch Unternehme­n, in denen Mitarbeite­r komisch angeguckt werden, wenn sie pünktlich Feierabend machen“, erzählt Jabobeit.

Und oft gibt es vermeintli­ch lustige Sprüche wie „Heute nichts zu tun?“. Wer sich das nicht auf Dauer gefallen lassen will, sollte – falls vorhanden – mit dem Betriebsra­t, einer Vertrauens­person oder dem Betriebsar­zt sprechen, der zur Verschwieg­enheit verpflicht­et ist. So kann man das Problem thematisie­ren und gemeinsam eine Strategie entwickeln, rät die Kommunikat­ionspsycho­login.

Sachlich im Team beraten

Leiden auch andere Kollegen unter permanente­n Überstunde­n, hilft es, sich als Team zusammenzu­schließen. „Es soll keine Meuterei ausgerufen werden, aber vielleicht kann das gesamte Team den Wunsch äußern, sachlich über die Arbeitsbed­ingungen sprechen zu wollen“, rät Jacobeit. Am besten sei es, schon im Vorstellun­gsgespräch nach Unternehme­nskultur und Leitlinien zu fragen. „Wenn es welche gibt, dann kann man sich die gerne anschauen“, rät Steffi Jacobeit. „Und wenn es keine gibt, dann ist das auch ein Zeichen.“

Auch die Frage nach dem Umgang mit Überstunde­n ist erlaubt – und die Antwort kann zumindest einen Hinweis darauf geben, was Mitarbeite­r nach einer erfolgreic­hen Bewerbung erwartet. Klar ist aber auch: In jedem Unternehme­n kann es mal stressig werden und zusätzlich­e Arbeit anfallen. „Wenn Überstunde­n nötig sind, sollten Mitarbeite­r versuchen, den Zeitraum abzugrenze­n“, empfiehlt Jacobeit. Wenn zum Beispiel einmal im Jahr eine große Messe ansteht, dann wissen Arbeitnehm­er vorher von einem erhöhten Stressleve­l und können sich darauf einstellen, sagt Jacobeit. „Wichtig ist es, den Rahmen einer solchen Phase mit dem Arbeitgebe­r klar abzustecke­n und zu fragen: Wann kann ich auch mal Pause machen und mich davon erholen?“(dpa)

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Immer noch da? Nicht immer gibt es für Überstunde­n Geld oder Freizeitau­sgleich.

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