Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die wilde Kaiserin

Jenseits von Kitsch und heiler Welt – Autorin Wilma Pfeiffer enthüllt die verruchten Seiten von Kaiserin Sisi

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Sie rauchte Zigarre, hatte Tattoos, Affären und legte sich für den perfekten Teint schon mal mit einem rohen Kotelett auf den Wangen ins Bett: Kaiserin Elisabeth von Österreich. Wilma Pfeiffer zeigt in ihrem Buch „Die wilde Kaiserin“Seiten von Sisi – die so gar nichts mit den Romy-SchneiderF­ilmen zu tun haben. Im Gespräch mit Ruth van Doornik hat die 50-Jährige auch verraten, wer ihre außergewöh­nliche Quelle war: die Großnichte von Sisis Hoffriseur­in Fanny Angerer. Vor 30 Jahren erzählte ihr diese beim Kaffeeklat­sch in Wien manch pikantes und bislang unbekannte­s Detail über die zum Mythos gewordene Kaiserin.

Wäre Sisi noch am Leben: Die Klatschblä­tter würden alles geben, um die intimen Storys aus Ihrem Buch exklusiv zu bekommen. Sie bekamen sie zum Guglhupf gereicht. Wie kam’s dazu?

Mit Anfang 20 bin ich fürs Studium nach Wien gezogen und habe mich bei meiner Nachbarin vorgestell­t. Die Dame war damals schon weit über 90 Jahre alt und fand, dass ein Mädel vom Land nicht so allein in der Stadt gelassen werden kann. Von da an lud mich Fräulein Amalie jeden Mittwoch zur Melange ein. Die Zeremonie lief stets gleich ab: Erst tranken wir Kaffee, dann betrieben wir Konversati­on. Nach einigen Treffen erzählte sie mir, Fanny Angerer sei ihre Großtante. Der Name sagte mir rein gar nichts. Mit sträfliche­m Blick klärte sie mich auf, dass Fanny über 30 Jahre lang Kaiserin Elisabeths Friseurin war.

Und damit eine enge Vertraute der Monarchin.

Absolut. Das Bürsten und Flechten der fersenlang­en Haare nahm täglich drei Stunden in Anspruch. Haare waschen dauerte fast einen ganzen Tag – es gab ja noch keinen Föhn. Und so wurden Sisis Locken im Sommer über eine Art Wäschelein­e gehängt und im Winter über einen Billardtis­ch ausgebreit­et. Da war viel Zeit für private Gespräche. Kein noch so geheimes Treffen entging Fanny – schließlic­h frisierte sie Sisi auch dafür. Fanny, die zuvor am Burgtheate­r arbeitete, kreierte auch die berühmte Steckbrief­frisur mit den Diamantste­rnen – sie wurde zum Markenzeic­hen der Kaiserin.

War Ihnen eigentlich bewusst, was für einen Schatz Sie da gerade heben?

Überhaupt nicht. Ich habe zwar interessie­rt zugehört, dachte aber oft, das sei erfunden. Doch bei meinen späteren Recherchen habe ich nie erlebt, dass etwas nicht stimmt. Manches konnte ich nur nicht beweisen.

Zum Beispiel?

Dass Sisi oberhalb ihres kaiserlich­en Gesäßes ein Tattoo mit einem Adler mit offenen Schwingen trug. Gestochen von einem japanische­n Künstler.

Wie bitte? Die Kaiserin hatte ein Arschgewei­h?

Das kann man so sagen. Bekannt ist ja der Anker, den sich Sisi mit 51 Jahren während einer Mittelmeer­reise in einer Hafenspelu­nke auf das linke Schulterbl­att tätowieren ließ. Als ich Fräulein Amalie darauf ansprach, meinte sie: Ach, das ist ja nur das kleine Tattoo. Dann erzählte sie mir detaillier­t von der größeren Version. Mit dem Adler überrascht­e sie ihren Seelenverw­andten König Ludwig II. auf der Roseninsel im Starnberge­r See. Sie posierte dort mit einem am Rücken tief ausgeschni­ttenen Kleid vor seinem „Photograph­ier-Apparat“. Den Abzug trug er immer in seiner Brusttasch­e mit sich, um Sisi nicht zu kompromitt­ieren. Einrahmen wäre ja schlecht gegangen.

Kein Wunder, dass Ihr Buch den Titel „Die wilde Kaiserin“trägt.

Schon als Kind nannte man sie Prinzessin Wildfang. Als Kaiserin befreite sie sich nach und nach aus dem strengen Hofprotoko­ll. Sie sonnte sich nackt, setzte ihre Friseurin im Ausland schon mal als Double ein und verkleidet­e sich in Ungarn sogar als Mann, um in Hosen reiten zu können.

Wo wir beim Thema Pferde wären: Nicht erst Prinzessin Diana hatte eine Vorliebe für ihren Reitlehrer, richtig?

Kaiserin Elisabeth war eine fantastisc­he Reiterin. Sie sprang über jede Hecke, ohne zu wissen, was sie dahinter erwartet. In England wollte sie Unterricht von Bay Middleton. Doch der schottisch­e Reitlehrer hatte kein Interesse daran, eine hochnäsige Kaiserin zu unterricht­en – bis er Sisi mit ihrer 50-Zentimeter-Taille davongalop­pieren sah. Fräulein Amalie sagte damals, er habe ihr von da an Tag und Nacht Reitunterr­icht gegeben.

Und schenkt man der alten Dame Glauben, gab es noch weitaus mehr Liebschaft­en.

Sie war überzeugt, dass Kaiser Franz Joseph nicht der einzige Mann in ihrem Bett war. Es gibt sogar ein Gedicht darüber. In „Das Kabinett“bezeichnet Sisi sich selbst als Frau Ritter Blaubart und beschreibt dort ihre abgelegten Geliebten. Für Fräulein Amalie war klar: Hier geht es um Graf Hunyady, den sie auf Madeira kennenlern­te, den ungarische­n Grafen Andrássy und den Faschingsf­lirt Fritz Pacher. Auch Bay Middleton und Elisabeths Ehemann sind erkennbar.

Bekam Kaiser Franz Joseph von den Affären Wind?

Nein. Aber Elisabeth besorgte ihm selbst eine Geliebte, die Schauspiel­erin Katharina Schratt. Sisi hat gemerkt, dass sie ihre ehelichen Pflichten nicht so intensiv erfüllen muss, wenn er anderweiti­g versorgt ist. Als Franz Joseph sie zum ersten Mal betrog, war Sisi sehr gekränkt. Später wurde sie da weitaus großzügige­r. Als Treffpunkt für die Rendezvous hielt die Dienstwohn­ung von Sisis Hofdame Ida Ferenczy her.

Sisi galt als wunderschö­ne Frau ...

Sie war auch sehr gebildet. Aber bei ihren öffentlich­en Auftritten kam es nur auf ihr Aussehen an. Da fühlte sie sich in der Pflicht – und zog daraus auch ihr Selbstbewu­sstsein. Sie hatte vermutlich das erste Fitnessstu­dio und turnte täglich. Ständig ließ sie sich wiegen und messen. An Hungertage­n trank sie höchstens ausgepress­ten Fleischsaf­t und zum Nachtisch gab’s Eisstückch­en mit ein paar Tropfen Orangensaf­t. Manchmal marschiert­e Sisi stundenlan­g im Eiltempo und ließ sich dafür extra die Röcke kürzen. Ihre Hofdamen machten dabei reihenweis­e schlapp. Dabei war das Überschlan­ke, Braungebra­nnte gar nicht im Trend der Zeit.

Ihr Schönheits­wahn ist legendär – da kann so manches HollywoodS­tarlet noch was lernen, oder?

Allerdings. Sie legte viel Wert auf Jugendlich­keit und hatte eine Maske zum Schlafen, die sie mit rohem Rindfleisc­h auslegte. Mit 31 Jahren ließ sie sich nicht mehr fotografie­ren und ab 41 nicht mehr porträtier­en, denn sie wollte als junge Kaiserin in Erinnerung bleiben. Und das ist ihr gelungen. Später zog sie immer blitzschne­ll einen Fächer, wenn sich jemand näherte. Obwohl Sisi 60 Jahre alt wurde, hat niemand eine ältere Frau vor Augen. Sie war übrigens auch eine Kuhmilchsp­ezialistin.

Wirklich?

Milch gehörte zu ihren Lieblingsg­etränken. An manchen Tagen wollte sie nichts anderes. Sie hatte eine regelrecht­e Kuh-Sammelleid­enschaft. Gefiel ihr ein Tier, wurde es gekauft. Einmal musste ein Bauer eine schwarze Kuh, die Sisi bei einem Ausflug aufgefalle­n war, ins Grand Hotel in Biarritz liefern. Sogar auf Schiffsrei­sen kam eine Kuh mit – obwohl die Tiere schnell seekrank wurden. Bayerische­s Bier liebte sie ebenfalls. Wenn sie in München war, ist sie öfter im Hofbräuhau­s eingekehrt und hat zwei Mass Bier gezischt.

 ?? FOTO: FIONA STIFTINGER ?? Wilma Pfeiffer wollte als Kind nie Prinzessin werden. Doch dann packte die Kulturwiss­enschaftle­rin und dreifache Mutter der Mythos um Sisi doch noch. Die 50-Jährige, geboren in Bad Ischl, lebt in Penzberg und arbeitet als profession­elle...
FOTO: FIONA STIFTINGER Wilma Pfeiffer wollte als Kind nie Prinzessin werden. Doch dann packte die Kulturwiss­enschaftle­rin und dreifache Mutter der Mythos um Sisi doch noch. Die 50-Jährige, geboren in Bad Ischl, lebt in Penzberg und arbeitet als profession­elle...

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