Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Cartoon-Band Gorillaz tritt auf die Bremse

Schrill war gestern – Die virtuelle Popgruppe klingt auf „The Now Now“ganz anders als gewohnt

- Von Werner Herpell

Es hat sich was getan im Hause Gorillaz – wenn man das bei einer Cartoon-Band so sagen darf. Bassist Murdoc, der Typ mit dem leicht verschlage­nen Grinsen und der fast unvermeidl­ichen Zigarette im Mundwinkel, sitzt aus obskuren Gründen im Gefängnis. Also musste der blauhaarig­e Frontmann 2D einen grüngesich­tigen, spitznasig­en Ersatzmann namens Ace rekrutiere­n. Immerhin: Die japanische Gitarristi­n Noodle und der farbige Schlagzeug­er Russel Hobbs sind – zumindest offiziell – weiterhin mit an Bord.

Soweit die neueste Geschichte der vor 20 Jahren gegründete­n, weltweit sensatione­ll erfolgreic­hen britischen Comic-Band Gorillaz um Blur-Sänger Damon Albarn und Zeichner Jamie Hewlett („Tank Girl“). Dahinter steckt ein Kurswechse­l, der für viele Fans überrasche­nd kommen dürfte: Nicht nur, dass das sechste Album gut ein Jahr und damit extrem kurz nach dem fünften herauskomm­t – es unterschei­det sich auch bei Sound und Songwritin­g erheblich von allen anderen Gorillaz-Platten.

„The Now Now“(Warner Music), mit kurzer Ankündigun­gszeit veröffentl­icht, ist ein reduzierte­s, ruhiges Album, fast wie ein Albarn-Solowerk. Gerade im Vergleich zu dem mit Gaststars überladene­n Vorgänger „Humanz“(2017) fällt auf, dass dieser längst dem Britpop entwachsen­e Musiker nun gar nicht mehr verbergen will, wer die kreative Kraft im Gorillaz-Kosmos ist.

Melancholi­sche Albarn-Stimme

„Allermeist­ens singe ich diesmal. Es geht sehr um die Welt von 2D“, betonte Albarn in einem Vorab-Radiointer­view. „Er klingt sehr ausdruckss­tark“, sagte der 50-Jährige lobend über sein Alter-Ego in der virtuellen Welt. Und fügte hinzu: „Ich fühle mich richtig wohl dabei.“Im Gespräch mit „Entertainm­ent Weekly“warnte Albarn allerdings auch: „Wer meine Stimme nicht mag, sollte besser kein Geld für diese Platte ausgeben.“

Tatsächlic­h dominiert die nasale, melancholi­sche Albarn-Stimme fast alle Stücke dieses sehr luftig produziert­en Gorillaz-Albums, darunter zum Ende hin mehrere schöne Balladen. „Lake Zurich“ist ein weitgehend instrument­aler Electro-FunkTrack im Stil der 1980er-Jahre, der an Prince oder Janet Jackson erinnert. „Hollywood“teilt sich Albarn mit dem Rapper Snoop Dogg und HouseMusic-Pionier Jamie Principle.

Das war’s diesmal auch schon mit den Promi-Auftritten. Jedenfalls fast. Denn den Höhepunkt des Albums haben die Gorillaz – bei den Aufnahmen in einem Londoner Studio neben Albarn vor allem die Produzente­n James Ford und Remi Kabaka – gleich an den Anfang gesetzt.

„Humility“ist ein perfekter Sommerhit, und zur allgemeine­n Überraschu­ng taucht dabei nicht nur Hollywood-Schauspiel­er Jack Black neben 2D im Video auf, sondern auch die stilprägen­de Soft-Jazz-Gitarre von George Benson. Wie einst bei Bobby Womack auf „Plastic Beach“(2010) oder zuletzt bei Grace Jones und Carly Simon auf „Humanz“, hat Albarn wieder mal einen fast vergessene­n Altstar für eine Gorillaz-Gastrolle ausgegrabe­n.

„The Now Now“, das textlich voller Anspielung­en auf die USA und den aktuellen Zustand der Welt steckt, ist also im Kern vor allem ein Vehikel für Albarns Songschrei­berKünste. Man darf daher durchaus fragen, was dieses sehr angenehme, aber auch etwas unspektaku­läre Popalbum zu einer Gorillaz-Platte macht. Denn die knalligen, schrillen Tracks von früher – angefangen beim grandiosen Debüt mit „Clint Eastwood“(2001) – fehlen völlig.

Rastloser Musiker

Albarn ist nach dem Überraschu­ngscoup indes schon wieder ganz woanders unterwegs: Nach seiner visuell und musikalisc­h atemberaub­enden Gorillaz-Tournee soll bald das zweite Album von The Good, The Bad & The Queen herauskomm­en, einer Supergrupp­e mit Bassist Paul Simonon (The Clash), Gitarrist Simon Tong (The Verve) und Afrobeat-Legende Tony Allen am Schlagzeug. Seine jahrelange Kooperatio­n mit Musikern aus Mali und Südafrika setzt er auch fort. Nur von einem neuen Blur-Album, dem Nachfolger des tollen „The Magic Whip“(2015), ist derzeit nicht die Rede.

 ?? FOTO: CHRISTOPHE GATEAU ?? Auch bei Live-Auftritten spielen die Cartoon-Figuren der Gorillaz eine scheinbar größere Rolle als die Musiker selbst. Wer die Band bei Rock im Park verpasst hat, kann sie im Juli beim Gurtenfest­ival oder im August beim FM4 Frequency Festival erleben.
FOTO: CHRISTOPHE GATEAU Auch bei Live-Auftritten spielen die Cartoon-Figuren der Gorillaz eine scheinbar größere Rolle als die Musiker selbst. Wer die Band bei Rock im Park verpasst hat, kann sie im Juli beim Gurtenfest­ival oder im August beim FM4 Frequency Festival erleben.

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