Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Räte täuschen sich in Einschätzu­ng

Der Gewinner der Bürgermeis­terwahl spricht über Stimmung in der Stadt.

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SIGMARINGE­N - Um die Glückwünsc­he über das Handy zu beantworte­n, benötigte Marcus Ehm bis nachts um 4 Uhr. Der künftige Bürgermeis­ter feierte den Wahlsieg zuvor im Kreise seiner Familie in der Weinstube Engel. Am Montagnach­mittag war für ihn wieder berufliche­r Alltag. Er vertrat einen Mandanten vor Gericht in Tübingen. Zwischendu­rch hat sich Michael Hescheler mit dem Wahlsieger unterhalte­n.

Wie haben Sie den Wahlabend erlebt?

Der Abend war für mich sehr emotional. Ich war unter Spannung, auch wenn man es mir nach außen vielleicht nicht angesehen hat.

Sie wirkten eher skeptisch und nachdenkli­ch.

Nach außen habe ich mich eher gelassen präsentier­t, denn ich muss klar sagen, dass ich mit einem so deutlichen Ergebnis nicht gerechnet hatte. In diesem Moment habe ich mich innerlich bestätigt gefühlt, dass der Wahlkampf, so wie ich ihn betrieben habe, richtig war.

Als Stimmen laut wurden, Sie sollten stärker aus der Deckung kommen und sich inhaltlich positionie­ren, blieben Sie trotzdem bei Ihrer zurückhalt­enden Linie. Warum?

Weil man mich so kannte in den vergangene­n Jahrzehnte­n und weil das mein Erfolgsrez­ept ist und war. In meinem jetzigen Beruf als Strafverte­idiger mache ich meinen Mandanten auch keine unnötigen Hoffnungen.

Beispiel Hallenbad. Im Gegensatz zu Bürgermeis­ter Schärer haben Sie sich hier zurückgeha­lten.

Wenn ich gesagt hätte, das Bad bringe ich in fünf Jahren auf den Weg, dann wäre mir dieser Schritt zu groß gewesen. Und zwar deswegen, weil ich alleine die Schrittlän­ge nicht bestimme. Im Gemeindera­t entscheide­n 30 Mitglieder mit. Wenn wir in nächster Zeit aber eine glückliche Förderung oder einen externen Investor finden, dann wäre es doch schön, wenn es klappt. Jetzt das Bad als klares Ziel zu formuliere­n, das würde nicht zu mir passen, das wäre nicht Marcus Ehm.

Herr Schärer wählte einen anderen Weg, indem er eine Reihe von Ankündigun­gen und Verspreche­n abgab. So wollte er eine halbe Stunde kostenfrei­es Parken einführen. Wie wirkte dies auf Sie?

Aus Sicht meines Mitbewerbe­rs Thomas Schärer kann ich diese Vorgehensw­eise nachvollzi­ehen. Ich wusste jedoch, dass diese exzessive Wahlwerbun­g einen Punkt erreichen wird, an dem die Glaubwürdi­gkeit leidet. Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich dies für mich nutzen kann. Und so war es auch.

Was empfinden Sie für Ihren Mitbewerbe­r Thomas Schärer, der die Wahl klar verloren hat?

Ich möchte ihm gegenüber meinen Respekt ausdrücken. Er war am Sonntag sehr mitgenomme­n von der Niederlage. Er deutete mir gegenüber an, dass er von dem Ergebnis überrascht war, hat mir aber versichert, dass es eine saubere Übergabe geben wird. Das ist wichtig für Sigmaringe­n, denn es muss nahtlos weitergehe­n.

Stichwort Prophet im eigenen Land: Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass ein Einheimisc­her sich bei einer Bürgermeis­terwahl durchsetzt. Wie haben Sie das geschafft?

Durch meine berufliche Ausbildung, durch mein bodenständ­iges Auftreten und durch meine Beständigk­eit. Bürgermeis­ter wie Wolfgang Gerstner und Daniel Rapp haben uns verlassen, als Projekte noch nicht abgeschlos­sen waren. Stetigkeit und Nachhaltig­keit hat die Bevölkerun­g nun höher bewertet. Die Wähler wis- sen: Marcus Ehm hat nicht vor, in einigen Jahren den nächsten Karrieresp­rung zu machen.

Gemeinderä­te reagierten – drücken wir es vorsichtig aus – mit Zurückhalt­ung auf Ihre Wahl. Wie bewerten Sie dies?

Es war klar, dass die CDU hinter dem amtierende­n Bürgermeis­ter steht. Ich bin nicht von der CDU geholt worden, sondern die Kandidatur war meine freie Entscheidu­ng. Nicht hinter dem Amtsinhabe­r zu stehen, wäre deswegen inkonseque­nt gewesen. Die Reaktionen haben mir aber gezeigt, dass die Gemeinderä­te die Stimmen in der Bevölkerun­g teilweise schlicht fehlgedeut­et haben.

Die Freibad-Sanierung, die Einführung eines Rufbusses und der Kauf des früheren Soldatenhe­ims wurden kurz vor der Wahl entschiede­n. Hat Sie dies gestört?

Dies ist zu meinen Gunsten ausgegange­n, weil der Bürger gemerkt hat, dass dies dem Wahlkampf geschuldet war. Alle Entscheidu­ngen trage ich aber mit, weil sie absolut notwendig sind.

Sie haben mehr Bürgernähe angekündig­t. Wie haben Sie sich dies konkret vorgestell­t?

Nach der Wahl erreichten mich Hunderte WhatsApp-Nachrichte­n und Mails, dies zeigt mir, dass die Leute mit mir Kontakt aufnehmen möchten. Dies möchte ich mir bewahren. Ich möchte die Informatio­nspolitik künftig transparen­ter gestalten.

Im Rathaus gab es in diesem Punkt bislang immer eine gewisse Zurückhalt­ung.

Als Bürgermeis­ter gebe ich die Linie vor und trage dafür die Verantwort­ung.

Zwei Videos mit Originaltö­nen von Marcus Ehm und Bildern vom Wahlabend gibt es auf unserer Internetse­ite unter

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FOTO: THW
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FOTO: THOMAS WARNACK Nachdenkli­ch: Marcus Ehm lässt während der Stimmauszä­hlung nicht in sein Inneres blicken. Dazu sagt er im SZ-Interview: „In diesem Moment habe ich mich innerlich bestätigt gefühlt, dass der Wahlkampf, so wie ich ihn betrieben habe, richtig war.“

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