Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Tausende Polizisten entlassen
Notstandsdekret trifft Staatsbedienstete in der Türkei
ISTANBUL (dpa) - Kurz vor der für heute angekündigten Aufhebung des Ausnahmezustands in der Türkei sind dort mehr als 18 000 Staatsbedienstete per Notstandsdekret entlassen worden. Darunter sind rund
9000 Polizisten und mehr als
6000 Armeeangehörige, aber auch Lehrer, Universitätsdozenten und Mitarbeiter verschiedener Ministerien. Das geht aus dem am Sonntag im Amtsblatt veröffentlichten Dekret hervor. Außerdem wurden zwölf Vereine, drei Zeitungen und ein Fernsehsender geschlossen. Die türkische Regierung wirft den entlassenen Staatsbediensteten Verbindungen zu „Terrororganisationen“vor, die „gegen die nationale Sicherheit agieren“.
Heute soll Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vereidigt werden, der vor zwei Wochen wiedergewählt wurde und künftig zugleich Staatsund Regierungschef ist. Das neue Parlament nahm seine Arbeit bereits am Samstag auf.
LONDON - Politiker in Brüssel und Berlin reagieren zurückhaltend auf den neuen Brexit-Kurs der britischen Regierung, der eine Abkehr von einem harten Ausstieg aus der Europäischen Union vorsieht. Führende Minister aus Großbritannien rufen die EU zu größerem Entgegenkommen auf.
Der Kurs der britischen Regierung sei realistisch, sagte Umweltminister Michael Gove der BBC: Das bei einer Kabinettsklausur am Freitag erarbeitete Papier sei „nicht perfekt, aber gut“. Nach der für diese Woche geplanten Veröffentlichung des Brexit-Weißbuchs erwarte man von den 27 EU-Partnern großzügigeres Vorgehen als bisher: „Sonst scheiden wir im März ohne Vereinbarung aus.“
Johnson schimpft und stimmt zu
Berichten zufolge hatte der überzeugte Brexiteer Gove am Freitag die Debatte auf dem Landsitz Chequers der Premierministerin entscheidend beeinflusst, indem er May seine Unterstützung zusagte. Dies stand in deutlichem Kontrast zu seinem früheren Brexit-Mitstreiter, Außenminister Boris Johnson. Dieser soll Mays Vorgehen als „Sch...haufen“(„turd“) bezeichnet haben. Später schlossen sich aber wie Johnson auch alle anderen EU-Feinde Mays Linie an.
In einem Brief an sämtliche ToryAbgeordneten bat May um Unterstützung und warnte Abweichler vor Konsequenzen. Ab sofort soll für das Kabinett auch in der BrexitDiskussion wieder jene Disziplin gelten, die der Regierungspartei im Vorfeld des Referendumskampfes 2016 abhanden gekommen war. Insbesondere Johnson hatte seither immer wieder durch eigenmächtige Wortmeldungen auf sich aufmerksam gemacht.
Für eine Freihandelszone
Der dreiseitige Chequers-Plan stellt den Abschied vom zwei Jahre lang propagierten harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion dar. Angestrebt wird nun ein Hybrid aus wirtschaftlich enger Verflechtung mit dem Kontinent, welche notgedrungen die Souveränität der Brexit-Insel einengt („weicher Brexit“). Eine Freihandelszone soll den reibungslosen Handel mit Gütern gewährleisten, während die Briten bei Dienstleistungen ihre eigenen Wege gehen wollen. Auch könne die Personenfreizügigkeit über die bereits vereinbarte Übergangsphase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrechterhalten werden.
Die Reaktion aus Brüssel fiel zurückhaltend aus. Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier teilte mit, er wolle das angekündigte Weißbuch abwarten. Der prominente deutsche Europapolitiker Elmar Brok (CDU)
wies auf die Unteilbarkeit der vier Säulen des EU-Binnenmarktes hin. Hingegen klinge der britische Plan so, als wolle die Insel nur die Warensäule
in Anspruch nehmen. Der SPDBundestagsabgeordnete Achim Post bekräftigte die Haltung der Bundesregierung: Zwar wünsche man sich
eine enge Freundschaft mit Großbritannien, werde der Insel aber nicht „Rosinenpicken“erlauben.
Irische Grenze soll offen bleiben
Gelegenheit zu bilateralen Gesprächen erhalten Johnson und May zu Wochenbeginn anlässlich des Londoner Westbalkan-Gipfels. Dazu kommt neben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auch ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz in die britische Hauptstadt. Vorab reiste Kurz, im zweiten Halbjahr 2018 auch EU-Ratspräsident, am Sonntag nach Dublin, um sich mit dem irischen Premier Leo Varadkar über das neue Londoner Brexit-Papier zu beraten. Am Montag will sich Kurz vor Ort an der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland informieren.
Die neuen britischen Vorschläge sind nicht zuletzt dem Willen aller Beteiligten geschuldet, die innerirische Grenze auch in Zukunft offen zu halten. Großbritannien will zukünftig zweierlei Zölle erheben, die der EU und die möglicherweise abweichenden nationalen; ein Ausgleichssystem soll dann den betroffenen Unternehmen etwaige zuviel bezahlte Gebühren zurückerstatten. Britische Unternehmer, aber auch BrexitHardliner kritisierten diese Lösung am Sonntag als „viel zu kompliziert“.