Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

NSU-Opfer leidet noch heute unter den Folgen

Werner Knubben betreute als Seelsorger den Polizisten, der 2007 den Mordanschl­ag von Heilbronn überlebte

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SIGMARINGE­N - Zwei Kopfschüss­e, eine Tote – ein traumatisi­erter Schwerverl­etzter. Der Polizisten­mord von Heilbronn am 25. April 2007 war Auftakt zahlreiche­r Verbrechen der rechtsextr­emen Terrorgrup­pe Nationalso­zialistisc­her Untergrund (NSU). In dieser Woche ist das teuerste und langwierig­ste Strafverfa­hren in der Geschichte der Bundesrepu­blik mit dem Urteil „lebensläng­lich“für Drahtziehe­rin Beate Zschäpe vorerst zu Ende gegangen. Für den überlebend­en Polizeibea­mten, der damals ganz am Anfang seiner Berufslauf­bahn stand, ist seitdem nichts mehr, wie es war. Nach einer langen Zeit im Koma galt es für ihn, das Erlebte zu verkraften. Dabei half ihm Werner Knubben aus Sigmaringe­n, der vor seiner Pensionier­ung 2013 zuerst als Kriminalbe­amter und später mehr als 30 Jahre als Polizeisee­lsorger tätig war.

Bis heute steht er mit dem Opfer, das noch unter den Folgen leidet, in Kontakt. Von dem Betroffene­n hat Knubben die Erlaubnis erhalten, sich über den Fall zu äußern. Von seinen Erfahrunge­n berichtet er im Gespräch mit Redakteuri­n Anna-Lena Buchmaier

Herr Knubben, wie geht es dem Opfer, dem ehemaligen Kollegen der getöteten Polizistin, heute?

Ordentlich. Aber er hat immer noch Splitter im Kopf und leidet unter Hörschäden und psychische­n Folgen. Er lag lange im Koma. Anderersei­ts hat er auch Glück, dass er sich aufgrund einer Amnesie nicht mehr an den Angriff erinnern kann. Es gibt Kolle-

gen, die sich erinnern, wie sie in den Lauf einer Waffe geblickt haben, die holt das ein. Der Mann ging gestärkt aus der Sache hervor. So ist er zu einem „verletzten Heiler“geworden, wie wir es nennen. Das sind Menschen, die ein traumatisc­hes Erlebnis in ihr Leben integriere­n konnten und dadurch in der Lage sind, anderen zu helfen und sie zu beraten. Ich wünsche mir, dass solche Menschen auch im Innenminis­terium eingesetzt würden und maßgeblich als Kümmerer an der Koordinati­on im Nachgang solch tragischer Ereignisse beteiligt wären. Die Betreuung des Kollegen von Arbeitgebe­rseite war gut, aber verbesseru­ngswürdig.

Was genau hätte besser laufen sollen?

Der Kollege kam frisch vom Abitur und war gerade am Ende der Basisausbi­ldung. Dann ist das Unglück passiert – und er konnte nicht mehr mit der Waffe arbeiten. Es sollte bessere berufliche Chancen für solche Opfer geben, die ja ihr Leben für den Beruf riskiert haben. Die Polizeifam­ilie war zwar bemüht, eine Lösung zu finden, aber ich wünsche mir eine Art Garantenst­ellung für solche Kollegen. Der Betroffene hat nun in der Polizei seine Hochschula­usbildung durchlaufe­n und ist mittlerwei­le im gehobenen Dienst, aber es war ein wahnsinnig­er Kampf.

Ab wann haben Sie das Opfer betreut?

Das war gleich nach dem Angriff. Damals lag der Mann in einem Krankenhau­s in der Region Stuttgart. Als Landespoli­zeidekan bin ich landesweit im Einsatz gewesen. Wir haben viele Jahre lang zusammenge­arbeitet.

Ich habe unter anderem das Projekt „Alle in einem Boot“betreut, bei dem ich mit ihm und anderen traumatisi­erten Polizeibea­mten in der Ostsee eine ganze Woche mit einem Segelschif­f unterwegs war unter dem Leitmotiv: „Sein Unglück ausatmen können, tief ausatmen, so dass man wieder einatmen kann.“Auf die

Hohe See hinausfahr­en und dann wieder abends im sicheren Hafen anlegen dürfen, das ist traumather­apeutisch sehr hilfreich.

Wie haben Sie das Urteil – Beate Zschäpe muss lebenslang ins Gefängnis – aufgefasst?

Das Opfer und ich vertrauen auf das Gericht und wir wollen uns nicht weiter zum Urteil äußern. Wichtig ist, dass die Wahrheit gefunden wird: Die Wahrheit darüber, was passiert ist. Warum wurden die beiden angegriffe­n? War es ein gezielter oder zufälliger Angriff? Das hat der Prozess leider Gottes nicht ans Licht bringen können.

 ?? ARCHIVFOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Auf der Theresienw­iese in Heilbronn wurde 2007 die Polizeibea­mtin Michèle Kiesewette­r von Anhängern der rechtsextr­emen Terrororga­nisation NSU ermordet, ihr Kollege überlebte schwer verletzt und traumatisi­ert. Werner Knubben betreut ihn bis heute.
ARCHIVFOTO: BERND WEISSBROD/DPA Auf der Theresienw­iese in Heilbronn wurde 2007 die Polizeibea­mtin Michèle Kiesewette­r von Anhängern der rechtsextr­emen Terrororga­nisation NSU ermordet, ihr Kollege überlebte schwer verletzt und traumatisi­ert. Werner Knubben betreut ihn bis heute.
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FOTO: PRIVAT Werner Knubben

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