Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wer in die Informatik-AG ging, galt als Emanze

Christine Reck hat in Mengen ein Physik-und-Mathe-Abitur gemacht und ist Informatik-Professori­n in Heilbronn

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN/HEILBRONN - Abstraktes, logisches Denken – das ist es, was Christine Reck reizt. Deshalb hat sie sich Ende er 1980er-Jahre am Gymnasium Mengen für die Leistungsk­urse Mathe und Physik entschiede­n und genau deshalb macht ihr die Arbeit als Professori­n für Informatik an der Hochschule Heilbronn noch genauso viel Spaß wie am ersten Tag. „Mein Fach ist immer in Bewegung und ich muss immer dranbleibe­n und bei allen Veränderun­gen auf dem neusten Stand bleiben“, sagt die 49-Jährige. „Aber ich schätze das sehr, ständige Wiederholu­ng des gleichen Lehrstoffe­s wäre mir viel zu langweilig.“

Christine Reck gehört dem Mengener Abiturjahr­gang 1988 an. „Damals hat niemand, den ich kannte, zuhause einen Computer gehabt und Internet war noch nicht verbreitet“, sagt sie. Informatik sei ein sehr junges Studienfac­h gewesen, von dem noch nicht abzusehen gewesen sei, wie zukunftstr­ächtig es einmal sein würde. Trotzdem ist Recks Wahl auf dieses Fach gefallen. „Am Gymnasium hatten wir einen Commodore 64, mit dem habe ich in einer Informatik-AG eine Programmie­rsprache gelernt, das hat mir Spaß gemacht“, sagt sie. Dass sie und das einzige weitere Mädchen in der AG dafür von Mitschüler­n für Emanzen gehalten wurden, hätte sie erst verstanden, als das jemand neben ihre Namen auf die Teilnehmer­liste gekritzelt hatte, die an der Tür zum Computerra­um hing.

„Das hat mir aber nichts ausgemacht, auch im Studium nicht“, sagt Christine Reck. „Wir waren zwar nur wenige Frauen, aber die Informatik­er sind ein nettes Völkchen und ich habe mich immer sehr gut mit den männlichen Studenten verstanden. Das ist im Maschinenb­au anders. Dort begegnet man sich nicht nur auf der Ebene des abstrakten Denkens, sondern eben auch an Maschinen und in Werkshalle­n.“Da sie auf der geistigen Ebene stets habe mithalten können, hätte sie keine schlechten Erfahrunge­n gemacht.

Ihre Eltern hätten damals nicht ganz verstanden, was Reck da an der Universitä­t in Karlsruhe studierte. „Aber sie haben sich nicht eingemisch­t, höchstens viele Fragen gestellt“, sagt sie. „Da hab ich ihnen einen Duden für Informatik geschenkt.“Auch heute sei es noch so, dass sich viele Menschen das Arbeitsfel­d von Christine Reck nicht gut vorstellen können. „Die meisten denken, dass man PC-Service macht und jeder Privatpers­on mal kurz den Computer oder den Drucker reparieren kann“; sagt sie lachend.

Dass sie ein Jahr lang in Atlanta in den USA studiert hat und mit einem Master of Science in Informatio­n and Computer Science zurückgeko­mmen ist, hat ihr bei der Suche nach einem Arbeitspla­tz nach ihrer Diplomprüf­ung und anschließe­nder Promotion geholfen. So arbeitete sie zunächst in der Entwicklun­gsabteilun­g des größten europäisch­en Softwarehe­rstellers SAP und war dann als Global Roll-out Managerin dafür verantwort­lich, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. „Dabei ging es vor allem darum, beratenden Partnerunt­ernehmen zu vermitteln, welchen Mehrwert die Kunden durch die neue Lösung haben.“

Auch im Produktman­agement, in dem sie dann zwei Jahre für SAP arbeitete, ging es vor allem um Kommunikat­ion und Kontakte zwischen Kunden und Produktent­wicklung. „Was braucht ein Kunde, was kann die Entwicklun­g leisten und wie teuer wird das Ganze?“Dabei sei ihr technische­s Verständni­s als Informatik­erin ein klarer Vorteil gewesen. „Die Akzeptanz auf beiden Seiten ist einfach höher, wenn man weiß, wovon man spricht“, sagt sie.

Platz für Familienpl­anung

Obwohl ihr diese Arbeit riesigen Spaß gemacht hat, entschied sie sich 2001 für eine Veränderun­g. „Bei SAP bin ich viel gereist und habe viel Zeit im Ausland verbracht“, sagt sie. „Aber für die Familienpl­anung war das ja eher ungünstig.“Aber als Professori­n an einer Hochschule? Das wäre eher denkbar. Eine einzige Bewerbung schickte Christine Reck ab. An die Hochschule Heilbronn, an der sie heute noch lehrt. „Da wurde jemand gesucht, der sich mit der betrieblic­hen Seite der Informatik auskennt“, sagt sie. „Ich hatte mit meinen Erfahrunge­n bei SAP genau den richtigen Background.“

Bedenken, dass die Hochschull­ehre nichts für sie sein könnte, hatte sie keine. „Ich habe als Studentin Tutorien gehalten und immer das Feedback erhalten, dass ich auch Pflichtsto­ff gut erklären kann“, sagt sie. Sowohl am Gymnasium in Mengen als auch in den USA habe sie gute Erfahrunge­n mit dem Lernen in kleinen Gruppen gemacht. „Es ist so wertvoll, wenn man als Student in die Sprechstun­de eines Professors kommen und ihn nach etwas fragen kann, das man in der Vorlesung nicht verstanden hat“, sagt sie. „An Unis mit zig Hundert Studienanf­ängern geht das natürlich nicht.“In Heilbronn sei es auch eher familiärer. „Ich lehre im Hauptstudi­um, da bestehen die Gruppen meist aus 25 Studierend­en.“

Ihren Schwerpunk­t hat Reck im Bereich IT-Management und Beratung. Zieht es Studentinn­en eher in diese Richtung. „Das ist ein Bereich, der Frauen vielleicht ein wenig mehr interessie­rt, weil man näher am Kunden ist und gemeinsam Prozesse und Möglichkei­ten erfasst“, sagt sie. „Aber auch Männer interessie­ren sich dafür, weil man in diesen Jobs viel unterwegs ist und gutes Geld verdienen kann.“Außerdem leitet Reck das Praktikant­enamt, das die Stellen für Praxisseme­ster der Studenten überprüft und Kontakt zu den Unternehme­n hält.

Der Sohn von Christine Reck ist übrigens 2003 gekommen, bevor sie 2004 zur Professori­n auf Lebenszeit ernannt und verbeamtet wurde. „Ich war sogar Gründungsm­itglied in einem Verein, der sich an der Hochschule um die Betreuung von Kindern unter drei Jahren gekümmert hat“, erzählt sie. 2003 habe es noch keine U3-Betreuung im Kindergart­en gegeben, der einzige Ganztagski­ndergarten hätte lange Warteliste­n gehabt. „Es war nicht einfach, in der Hochschule vernünftig­e Räume zu bekommen und das Betreuungs­personal zu bezahlen“, erinnert sie sich. Hauptsächl­ich hätte sich das Angebot an Studierend­e gerichtet, aber auch die Kinder von Mitarbeite­rn der Hochschule seien betreut worden. „Wir haben natürlich einen anderen Tarif gezahlt, aber ohne hätte ich das nicht geschafft.“Heute werde die Betreuung ganz offiziell vom Studierend­enwerk Heidelberg organisier­t.

Wohnort ist ein Kompromiss

Mit ihrem Mann und ihrem 15-jährigen Sohn, der sich momentan mehr für das Schulfach Natur und Technik und das Fotografie­ren interessie­rt, lebt Christine Reck in Bad Rappenau. „Da ist es eher beschaulic­h und vielleicht nicht die erste Wahl“, lenkt sie ein. Weil aber ihr Mann als Informatik­er bei SAP nach Walldorf pendeln müsse und sie eben in Heilbronn arbeite, sei der Ort als Kompromiss dabei herausgesp­rungen.

Nach Mengen kommt Christine Reck heute hauptsächl­ich, um ihren Vater zu besuchen. „Aufgrund der Nähe zum Bodensee mache ich auch gern mit meinem Sohn mal eine Woche Urlaub in Mengen“, sagt sie. Noch hier zu wohnen, kann sie sich nicht vorstellen. „Es gibt einfach kein Unternehme­n, in dem ich arbeiten könnte. Und wenn ich mir den Einzelhand­el so ansehe, bin ich ganz froh, dass ich nicht das Schmuckund Uhrengesch­äft meiner Eltern übernommen habe.“

Im Juni hat Reck an einem Treffen ihres Abitur-Jahrgangs teilgenomm­en. 30 Jahre ist ihr Abschluss mittlerwei­le her. Von 20 Abiturient­en sind 17 gekommen. „Das war toll und ich hatte das Gefühl, dass alle ihren Platz gefunden haben“, sagt sie. Ihre eigene Entscheidu­ng für die Informatik hat sie nie bereut. „Das sage ich auch immer meinen Studierend­en.“

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FOTO: PRIVAT Die Informatik­erin Christine Reck ist in Mengen zur Schule gegangen.
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FOTO: DPA/KARL STAEDELE Ihre ersten Computerer­fahrungen hat Christine Reck an einem Commodore 64 gemacht. Das Agenturfot­o stammt aus dem Jahr 1985, zeigt aber andere Schüler.

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