Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Das blaue Herz ist glücklich
Griezmann hebt ab, Mbappé läuft, Mandzukic trifft in jedes Tor, alle werden nass – Frankreich ist Weltmeister
MOSKAU (SID/dpa/sz) - Im strömenden Regen herzte Frankreichs klitschnasser Staatschef Emmanuel Macron jeden seiner Fußball-Weltmeister und küsste den WM-Pokal. Mit der Tricolore um den Hals stemmte Kapitän Hugo Lloris die Trophäe in die Höhe. Vom Glück über den zweiten WM-Sieg nach 1998 berauscht rutschten die neuen Helden der Grande Nation über das goldene Konfetti auf dem durchweichten Rasen im Moskauer Luschniki-Stadion. Bei einer bizarr anmutenden Siegerehrung war nur Russlands Präsident Wladimir Putin die ganze Zeit per Regenschirm vor dem heftigen Unwetter kurz nach dem Abpfiff geschützt worden. Den Franzosen, angeführt von Antoine Griezmann, in mehrerer Hinsicht „Man of the Match“, dürfte das ziemlich egal gewesen sein: Im torreichsten WM-Endspiel seit 1966 hatten sie soeben einen 4:2 (2:1)-Triumph gegen den Überraschungsfinalisten Kroatien gefeiert und Deutschland auf dem Fußballthron abgelöst.
Mit der blau-weiß-roten Fahne in den Händen ging es für den zum besten jungen Spieler der WM gekürten Kylian Mpabbé und seine Kollegen auf die Ehrenrunde. „Ich weiß gar nicht, wo ich bin“, sagte Griezmann überwältigt. „Das Herz ist glücklich. Wir haben es geschafft, den Pokal nach Frankreich zu holen.“
Zuhören als Weltmeister-Tugend
Ein Eigentor von Mario Mandzukic
(18. Minute), Griezmann per Handelfmeter nach Videobeweis (38.), Paul Pogba (59.) und Kylian Mbappé (65.) sorgten vor 78 011 Zuschauern für klare Verhältnisse – und einen glücklichen Trainer Didier Deschamps. „Es ist zu schön, es ist wunderbar für die Spieler, eine junge Generation. Wir haben viel Qualität an den Tag gelegt – mental – und oft genug getroffen“, sagte er. „Es war nicht immer einfach, aber weil sie zugehört haben, haben wir schwere Momente hinter uns gelassen“, tat Deschamps noch kund. Es klang geerdet. Der 49-Jährige übrigens ist nach Franz Beckenbauer und Mario Zagallo der dritte Fußballer, der als Spieler – 1998 als Kapitän – und Trainer Weltmeister geworden ist.
Kroatien konnte seinem Ruf als Comeback-Team nach Rückständen diesmal nicht gerecht werden. Trotz eines auch spielerisch beeindruckenden Beginns. Ivan Perisic (28.) erzielte das 1:1. Das 2:4 durch Mandzukic
(69.) nach schwerem Patzer von Frankreichs Schlussmann Hugo Lloris konnte kein furioses Finish mehr auslösen. Trotzdem: Der zweite WMPlatz ist der größte Erfolg in der Fußballhistorie des kleinen, 4,2 Millionen Einwohner zählenden Landes. Seine Spieler zeigten sich in der Niederlage als faire, große Sportler. Und: Luka Modric wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt.
Zweimal gab es noch kurze Erinnerung an deutschen Titelglanz. Philipp Lahm, WM-Kapitän der 2014erChampions, brachte vor dem Spiel den Goldpokal ins Stadion. Vor der Siegerehrung platzierte er ihn auf dem Podium. Die größte aller Fußballbühnen gehörte diesmal anderen.
Ein von Griezmann geschickt bis fragwürdig herausgeholter Freistoß war die erste vielversprechende Offensivaktion der Bleus. Erst in der Superzeitlupe war eindeutig zu sehen, dass der Franzose abhob, bevor Marcelo Brozovic ihn am Bein traf. Und Mandzukic wurde zum Pechvogel: Griezmanns Freistoß berührte er mit dem Scheitel minimal, die Flugkurve veränderte sich. Etwas ungläubig nahm der Ex-Bayern-Stürmer das erste Eigentor in einem WM-Finale zur Kenntnis. In allen K.o.-Spielen waren die Kroaten in Rückstand geraten – erneut gelang ihnen der Ausgleich. Perisic drehte sich geschickt um N’Golo Kanté und schoss ein, ehe Frankreichs Stuttgarter Benjamin Pavard zur Rettung herbeieilen konnte.
Dann die erste Videobeweis-Entscheidung in einem WM-Finale: Die Aktion von Perisic bewertete Schiedsrichter Nestor Pitana erst nach langem Bildschirm-Studium als Handspiel, sprich: strafstoßwürdig. Griezmann ließ sich die Chance zu seinem vierten WM-Treffer nicht nehmen. Kroatien musste wieder seine Aufholqualitäten zeigen. Ging das noch, nach drei K.o.-Partien inklusive Verlängerung? Für die Franzosen öffneten sich jetzt Räume – wie gemacht für Mbappé. Er entwischte nach 52 Minuten erstmals Domagoj Vida, ließ sich im Strafraum trotz Gezerres nicht fallen, scheiterte aber an Schlussmann Danijel Subasic. Wenige Minuten später machte der Torwart einen Schritt zu viel nach links. So konnte er Pogbas wuchtige Abnahme im zweiten Versuch nicht mehr parieren. Wieder war es Griezmann gewesen, der das Tor eingeleitet hatte, diesmal per filigraner Jonglage.
Mbappé macht alles klar
Was hatten die Kroaten jetzt noch zu bieten? Weltmeister nach einem Zwei-Tore-Rückstand wurde allein Deutschland 1954. Kurz darauf hatten sich alle Rechenspiele erledigt: Mbappé durfte unbedrängt aus etwa 18 Metern abziehen, sagte „danke!“Der 19-Jährige ist nun der zweitjüngste Torschütze in einem WM-Finale nach Pelé 1958.
Dann leistete sich Lloris seinen fatalen Aussetzer. Beim missglückten Versuch, den Ball um Mandzukic zu spielen, ließ der einfach den Fuß stehen – 2:4. Kroatiens Trainer Zlatko Dalic blies zum Endspurt. Bei den Franzosen sollte Bayern Münchens Corentin Tolisso den Vorsprung mitverteidigen. Tat er, mitsamt seinen Kollegen.
Weltmeisterlich.