Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Allein von Nostalgie und 190 Jahren Tradition kann man nicht überleben“,
Fast alle haben aufgegeben, nur sie nicht: Die Bäckerei Stauss arbeitet hart, seit 190 Jahren
sagt Norbert Gomeringer. Wie der Bäcker um den Fortbestand kämpft, lesen Sie auf
HETTINGEN - Norbert Gomeringer wischt sich die mehlbestaubten Hände an seiner Schürze ab. Da hinten, sagt er und deutet mit dem Finger aus der Backstube hinaus zur Hauptstraße des Ortes, da hinten war der Metzger. Eine Postfiliale, eine Sparkasse. Das alles ist in Hettingen Vergangenheit. Der kleine Ort im Laucherttal hat etwa 850 Einwohner. Gemeinderat und Verwaltung kämpfen seit Jahren um jeden Betrieb, um jede Art der Infrastruktur, um jeden Einwohner. Die Bäckerei Stauss gibt es seit 190 Jahren im Ort. Heute ist sie der einzige Nahversorger. „Wir sind die letzten, die geblieben sind“, sagt Inhaber Norbert Gomeringer. Auch er hat es nicht immer leicht. „Allein von Nostalgie und 190 Jahren Tradition kann man nicht überleben.“
Der 48-jährige Norbert Gomeringer führt den Betrieb in siebter Generation. 1828 wurde die Bäckerei zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Gegründet wurde sie von seinem Vorfahren Method Stauss, dessen Namen sie bis heute trägt.
Bewegte Zeiten hat das Unternehmen durchlebt. Viele Geschäfte haben die Bäcker schon kommen und in letzter Zeit vor allem gehen gesehen. Nach und nach ist die Hauptstraße immer weiter verwaist. Viele Schaufenster sind dunkel und blind. In Gomeringers Familienbetrieb aber duftet es am Freitagvormittag nach Wecken und Kaffee.
Die Bäckerei mit Stehcafé ist für viele im Ort ein Treffpunkt geworden. „Hier kommen die Leute ins Gespräch, die sich vielleicht länger nicht gesehen haben“, sagt Bäckermeister Gomeringer. „Früher ist man sich auch noch bei der Post und bei der Bank begegnet...“Gomeringer stockt kurz. Das ist schon traurig“, fügt er hinzu und senkt den Blick wieder auf den ausgerollten Teig, der vor ihm auf auf der Arbeitsfläche liegt. Mit einem Messer schneidet Gomeringer den Teig in schmale Streifen.
Mehrere Hundert kleine Brezeln, Pizzaschnecken und andere Partyhäppchen muss er vorbereiten. Heute läuft das Geschäft richtig gut. Gleich zwei Großaufträge hat die Bäckerei bekommen. Für ein Schulfest in Sigmaringen und für das große Jubiläum der Gammertinger Stadtkapelle wird gebacken.
Azubi Jan Renz bestreut die Teigstreifen mit Käse. Anschließend rollt er sie ein und legt sie der Reihe nach auf ein Blech. Norbert Gomeringer schaut dem 19-Jährigen über die Schulter. „An den Seiten musst du den Teig mit den Fingern etwas zusammendrücken, damit die Rollen beim Backen nicht auseinanderfallen“, erklärt der Chef. Jan Renz nickt. Es ist ein körperlich anstrengender Job, für den sich der junge Mann entschieden hat. Im Sommer wird es schnell bis zu 35 Grad heiß in der Backstube. Heute aber regnet es. Kühle Luft weht durchs Fenster herein. Draußen fahren einige Autos und Lastwagen, ansonsten ist es ruhig im Ort.
Würde es die Bundesstraße nicht geben, die direkt an der Bäckerei vorbeiführt, hätte es Norbert Gomeringer schwer. Als die Fahrbahn in den vergangenen Monaten saniert wurde und die hungrigen Autofahrer ausblieben, habe er das Loch in der Kasse gespürt, sagt der Familienvater. Insgesamt 15 Personen arbeiten im Betrieb. Auch Norbert Gomeringers Onkel, der Seniorchef, hilft noch oft in der Backstube mit. Dann stehen sie hier zu viert: Die beiden Meister, Geselle Rudolf Sigg und Azubi Jan Renz. Manchmal backen sie nach uralten Rezepten. Ich einem kleinen Büchlein in der Backstube sind sie handschriftlich festgehalten: die Zutaten für Haselnussbrötchen, Zimtsterne, Rhabarberkuchen und die alljährlichen Osterlämmer.
Damit das Geschäft sich trotz schwieriger Umstände hält, müssen aber immer wieder Neuerungen her. Schon Gomeringers Onkel belieferte die ortsansässigen
Firmen mit „Landjägern und
Brezeln“. Der Lieferservice ist auch für seinen Neffen eine wichtige Einnahmequelle. Norbert Gomeringer setzt aber auch auf ganz junge Trends. Schon in aller Hergottsfrühe hat er ein Bild von seinen frischen Wecken im sozialen Netzwerk Instagram gepostet. Als seine Tochter auf dem Weg zur Schule in der Backstube vorbeikam, freuten sich beide gemeinsam über die ersten zehn „Likes“. Im Familienbetrieb darf auch die jüngste Generation Anregungen geben. Norbert Gomeringer selbst hat das in seiner Jugend schließlich auch so kennengelernt. Schon von Kindesbeinen an hat er in der Backstube und im Verkauf ausgeholfen. Bei der Bäckerausbildung allein blieb es aber nicht: Er sattelte auch eine Konditorlehre mit drauf. „Später, während meinem Dienst bei der Bundeswehr, habe ich in der Küche der Luftwaffe gebacken“, erzählt er. „Für die hohen Offiziere gab es Schwarzwälder Kirschtorte.“In seinem Laden im ländlichen Hettingen laufe die allerdings nicht so gut, sagt der Bäcker- und Konditormeister. Die Kunden mögen es im Alltag bodenständiger: Brezeln und Seelen sind die Dauerbrenner. Gomeringer aber experimentiert auch gern: bei kreativen Hochzeitstorten genauso wie bei Pralinen und Schokoladentafeln. „Dafür hätte ich gerne noch mehr Zeit“, sagt er.
Obwohl er an vielen Tagen nur viereinhalb Stunden schläft, ist das Backen seine große Leidenschaft. „Anders geht das auch gar nicht. Sonst bringt das in diesem Beruf nichts“, sagt er. Auch an diesem Tag wird er bis abends unterwegs sein, die Häppchen zum Empfang der Gammertinger Stadtkapelle ausliefern, die immerhin 170 Jahre alt wird.
Die Bäckerei Stauss will ihr 190jähriges Bestehen hingegen nicht groß feiern. „In so einem kleinen Betrieb bleibt für ein großes Fest kaum Zeit“, sagt Norbert Gomeringer. Traurig klingt er nicht. Im Gegenteil. Er hat Hoffnungen für die Zukunft – auch für Hettingen: „In den letzten zwei Jahren gab es wieder mehr Einwohner. Jetzt ist ein Ärztehaus hinzugekommen. Wir alle hoffen, dass das wieder neue Geschäfte und Menschen anlockt.“Sollten sie kommen, dann will er auch sie überzeugen: mit Qualität, traditionsreichem Handwerk und Zutaten aus der Region.
Obwohl er an vielen Tagen nur viereinhalb Stunden schläft, ist das Backen seine große Leidenschaft.