Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Fünf vor zwölf an der Spielwiese
70 000 Fans werden beim Deutschland-GP in Hockenheim sein – erleben sie den letzten?
HOCKENHEIM - Ralph Trenkle hat ganze Arbeit geleistet. Rechtzeitig zum Deutschland-Grand-Prix hat der Uhrmachermeister aus Straubenhardt die Pirelli-Uhr wieder zum Laufen gebracht, den markanten, weil riesigen Zeitmesser über der Sachskurve. 30 Kilogramm schwer die Zeiger, 40 das Getriebe; dass Einund Ausbau in gut 20 Metern Höhe stattfanden, machte die Aufgabe nicht leichter. Jetzt aber sorgt, nach Jahren des Stillstands, modernste Funktechnik für sekundengenaue Präzision. Für manch zeitgemäßes Erinnerungsfoto auch: Trainingsbesucher wurden am Freitag gesichtet, die drückten Punkt 11.55 Uhr ab. Fünf vor zwölf für die Formel 1 auf dem Hockenheimring? Endzeitstimmung am Motodrom? Jein.
Ecclestone war 2009 generös und gab Sonderkonditionen
Die Fakten: Der Vertrag, den die Hockenheim-Ring GmbH 2009 mit Bernie Ecclestone abgeschlossen hat, läuft mit dem Rennen diesen Sonntag (15.10 Uhr/RTL) aus. Für seine Verhältnisse bescheidenst hat der damalige Formel-1-Strippenzieher die Antrittsgeldforderungen für die Großen Preise 2010, 2012, 2014, 2016 und 2018 festgeschrieben. Zweistellige Millionenbeträge nebst Zehn-Prozent-Aufschlag im Folgejahr waren Ecclestone’scher Standard; im Badischen erwischte den Briten seinerzeit offenbar ein Anflug generös stimmender Sentimentalität. Sonderkonditionen gab es für den Hockenheimring. Denn: „Wir fahren doch schon so lange hier.“
Stimmt. 1970 fing alles an. Mit Sicherheitsbedenken am Nürburgring, mit einem Ortswechsel deshalb – und einem Polizei-Großeinsatz: Kurz vor dem Start ließen die Ordnungskräfte die Tribünendächer räumen. Zu Hunderten hatten Zuschauer sie erklommen – Einsturzgefahr! Unmittelbar nach der Siegerehrung brach der Verkehr zusammen: sechs Stunden vom Fahrerlager zur nahegelegenen Autobahn 6 – Dauerstau! Jochen Rindt gewann an jenem denkwürdigen 2. August in Hockenheim, im Lotus-Cosworth, exakt 0,7 Sekunden vor Jacky Ickx im Ferrari. 135 000 zahlende Besucher wurden seinerzeit offiziell für den Rennsonntag abgerechnet. Gute alte Zeit.
Die neue? Bernie Ecclestone heißt seit Januar 2017 Liberty Media; der US-Konzern hat die Mehrheitsanteile an der Rennserie gekauft, den Zampano entmachtet. Georg Seiler, Geschäftsführer der Ring GmbH, und Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer müssen sich also auf andere Verhandlungspartner mit womöglich anderen Zielen, anderen Strategien, anderen finanziellen Vorstellungen einstellen. Ihr Kernproblem allerdings bleibt das alte: Refinanzierungsquelle ist einzig der Ticket-Erlös, die Zuschauerzahl wird zur allein seligmachenden Größe. Da bleibt nichts hängen bei 63 000 (2010), 59 000 (2012), 52 000 (2014) oder 57 000 (2016) Zahlenden. Außer einem Minus.
Fachgespräche an der „Dackelgaraasch“
Das wollen, das können sich die GmbH-Gesellschafter, die Stadt Hockenheim (94 Prozent)und der Badische Motorsport-Club, nicht weiter leisten. Georg Seiler: „Wir werden keinen Vertrag mehr abschließen, bei dem wir ein finanzielles Risiko eingehen.“Man stelle nicht „die Spielwiese, und andere verdienen das Geld. Um in Zukunft wieder ein Formel-1-Rennen in Hockenheim zu veranstalten, brauchen wir einen Investor oder Sponsor.“
Auf C3, dem dicht bevölkerten Campingplatz, der an Friedhof und Autobahn angrenzt, findet sich der nicht. Dafür aber manch Zelter, der wohl auch schon für Rindt kontra Ickx seine „Dackelgaraasch‘“(O-Ton Kurpfalz) aufgebaut hat. StammStellplätze hat man hier, gesellig mag man’s, von gewiss nicht trockenen Fachgesprächen zeugen liebevoll drapierte Bierdosenpyramiden. Thema, sagt Herbert aus Offenbach, sei „natürlich“die Frage nach 2020. „Sind wir dann wieder hier?“Das „ja“, vielkehlig-trotzig, steuert ein Quintett in Orange bei. Max Verstappen hat reisefreudige Fans. Meinungsfreudige auch. Verständnis zeigt die Gruppe aus Alkmaar für die Position des Streckenbetreibers. „Der sollte“, sagt einer, „den Kurs an die Amerikaner vermieten. Für fixes Geld.“Dass Liberty Media doch die Traditionsrennen im Kalender behalten wolle, hat ein anderer gelesen. Da müsse man halt ab- und zugeben. Europa, ergänzt Herbert, sei schließlich „der Kern“der Formel 1. Und Deutschland schlechthin.
Georg Seiler kennt all diese Gedanken. Er kennt auch die Überlegungen der Liberty-Media-Chefs, die Formel 1 mittelfristig in Miami, Hanoi oder Buenos Aires kreisen zu lassen. „Diesen Städten“, sagt er, „machen 50 Millionen nichts aus.“Der Hockenheimring aber sei wohl „die einzige Rennstrecke auf der Welt, die sich wirtschaftlich selbst tragen muss“. Will heißen? „Jeder sollte den Grand Prix unterstützen, der sieht, dass die Formel 1 ja auch Steuergelder generiert.“
Endzeitstimmung? 70 000 sind am Sonntag da, eine Zusatztribüne wurde erstellt. Nicht das schlechteste Argument pro Hockenheim. „Es wäre eine Schande, eines der klassischen Rennen zu verlieren.“Sebastian Vettel merkte das an. Nicht der unbedeutendste Fürsprecher.
Endzeitstimmung? Jetzt, da die Pirelli-Uhr wieder tickt? Sekundengenau. Unerbittlich. die Autonation