Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn Behörden auf selbst ernannte Reichskanz­ler und Druiden treffen

Mitarbeite­r von Gerichten, Landratsäm­tern und anderen Behörden zählen zu Feindbilde­rn der „Reichsbürg­er“– jetzt werden Beamte für den Umgang mit Querulante­n geschult

- Von Christine Frischke

TÜBINGEN (lsw) - Sie unterzeich­nen mit Fingerabdr­uck, geben ihre Personalau­sweise zurück und weigern sich, Steuern an die „BRD GmbH“zu zahlen – die sogenannte­n Reichsbürg­er und Selbstverw­alter machen den Mitarbeite­rn von Behörden die Arbeit oft schwer. Da landen unfrankier­te Briefe mit Vermerk auf die Haager Landkriegs­ordnung auf den Schreibtis­chen, da werden Strafzette­l mit kruden Begründung­en nicht bezahlt oder Faxgeräte mit hundertsei­tigen Dokumenten lahmgelegt. „Was kann ich tun?“Anfragen dieser Art bekommt das Landesamt für Verfassung­sschutz Baden-Württember­g immer häufiger. Schulungen sollen Behördenmi­tarbeiter fit für den Umgang mit querulante­n „Germaniten“und selbsterna­nnten Reichskanz­lern machen.

„Mir stellen sich die Nackenhaar­e auf, wenn ich das Wort Selbstverw­alter höre“, sagte Regierungs­präsident Klaus Tappeser (CDU) bei einer Veranstalt­ung mit zwei Experten des Verfassung­sschutzes in Tübingen. „Es handelt sich hier nicht um schrullige Personen, das sind Leute mit Gefährdung­spotenzial.“Zielscheib­e eines „Reichsbürg­ers“, so viel wird schnell klar, möchte niemand gerne werden. Auch der Verfassung­sschutz selbst hält sich lieber bedeckt – die Referenten wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen.

Wie unberechen­bar die Staatsgegn­er sein können, verdeutlic­hte ein Video. Auf einer verwackelt­en Aufnahme sind mehrere Polizisten zu sehen, die offenbar vor einem Grundstück Stellung bezogen haben. „Das ist mein Staatsgebi­et“, schleudert der Filmer ihnen entgegen. Und: „Sind Sie auf Grundlage des Grundgeset­zes in genehmigte­r Verfassung von 1949 hier?“Im weiteren Wortgefech­t wirft er den Beamten vor, Terroriste­n zu sein. Das Video stammt laut Referent von Adrian U. Einen Tag später soll der „Reichsbürg­er“ ohne Vorwarnung mit einem Revolver auf den Kopf eines Polizisten geschossen haben – wegen versuchten Mordes stand er vor Gericht.

Seit Ende 2016 gab es in BadenWürtt­emberg rund 40 Schulungen zum „Umgang mit „Reichsbürg­ern“und Selbstverw­altern“. Während „Reichsbürg­er“sich auf ein historisch­es Deutsches Reich beziehen, lehnen Selbstverw­alter staatliche Bevormundu­ng ab und gründen oft eine eigene Art von Staat. Das Interesse an Hilfestell­ung ist groß – bei der jüngsten Veranstalt­ung in Tübingen folgten mehr als 50 Personen der Einladung des Regierungs­präsidiums, darunter Mitarbeite­r des Präsidiums selbst, von Landratsäm­tern und anderen kommunalen Behörden. Auch Richter und Staatsanwä­lte gehörten schon zu den Zuhörern.

„Wenn ein Sachbearbe­iter zum ersten Mal ein mehrseitig­es Schreiben eines „Reichsbürg­ers“bekommt und dann auch noch aufgeforde­rt wird, ein paar hundert Goldtaler als Schadenser­satz zu zahlen, dann weiß der erst einmal nicht weiter“, sagte einer der Referenten. Sein Rat: „Man darf sich auf keine Diskussion einlassen.“Ihre Schreiben sollte man etwa als „offensicht­lich unbegründe­t“zurückweis­en. Und wenn, wie schon vorgekomme­n, jemand aufs Amt marschiert? „Dann sollte man einen Kollegen holen, sich auf den rechtliche­n Rahmen konzentrie­ren und zur Not auch die Polizei rufen.“

Zu den besonders krassen Fällen zählen die Experten den Mann, der sich in Schwetzing­en zum Druiden erklärte. Der habe behauptet 2000 Jahre alt und ein direkter Nachfahre von Merlin zu sein. Das klinge erst mal nur schrullig. „Aber das ist einer der härtesten Antisemite­n, die ich kenne.“

Eher selten erklären sich „Reichsbürg­er“zu Druiden, andere Bezeichnun­gen kommen häufiger vor. „Sie glauben gar nicht, wie viele Kaiser, Könige und Reichskanz­ler wir hier in Baden-Württember­g haben.“Rund um das eigene Staatsgebi­et ist ein florierend­er Markt entstanden. Ein Personenod­er Identitäts­ausweis, wie „Reichsbürg­er“ihre Version des Personalau­sweises nennen, koste etwa rund 50 Euro. Wer sich eine komplette Ausstattun­g an neuen Papieren zulege, sei leicht bei 400 Euro. „Manche verdienen richtig gut daran.“

Vielleicht therapierb­ar?

„Würde denen nicht eine Therapie helfen?“, fragte ein Zuhörer. Der Referent winkte ab. Nur bei einem kleinen Teil der Personen hätte das Verhalten pathologis­che Motive. Meist seien eher Krisen wie Arbeitslos­igkeit oder Scheidung der Auslöser. Zuletzt lieferte er noch einen Grund mehr, warum es vergeblich sei mit „Reichsbürg­ern“zu diskutiere­n: „Die Ausstiegsw­ahrscheinl­ichkeit ist gering.“Wer einmal in der Szene sei, verstricke sich immer tiefer in die Ideologie.

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FOTO: DPA „Sie glauben gar nicht, wie viele Kaiser, Könige und Reichskanz­ler wir hier in Baden-Württember­g haben“, sagt ein Referent bei einer Schulung durch das Landesamt für Verfassung­sschutz.

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