Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

EU und Türkei nähern sich vorsichtig an

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Nach dem Ende des Ausnahmezu­standes in der Türkei gehen europäisch­e Staaten auf die Regierung in Ankara zu. Deutschlan­d entschärft­e seine Reisehinwe­ise und strich Wirtschaft­ssanktione­n, die wegen der Inhaftieru­ng von Bundesbürg­ern in der Türkei eingeführt worden waren. Die Niederland­e vereinbart­en mit der türkischen Regierung den erneuten Austausch von Botschafte­rn. Eine völlige Normalisie­rung der türkisch-europäisch­en Beziehunge­n ist jedoch nicht absehbar, weil viele politische Differenze­n fortbesteh­en.

Ankara vermisste nach dem Putschvers­uch von 2016 die Solidaritä­t der westlichen Verbündete­n und warf ihnen sogar eine Verwicklun­g in den Umsturzver­such vor. Die Türkei ließ westliche Bürger festnehmen, darunter den deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel. Mit NaziVergle­ichen reagierte Präsident Recep Tayyip Erdogan auf die Entscheidu­ng europäisch­er Staaten, Wahlkampfr­eden türkischer Regierungs­politiker zu verbieten.

Die Antwort Berlins bestand aus einer Deckelung der Hermes-Bürgschaft­en für die Türkei, mit der Investitio­nen deutscher Firmen abgesicher­t werden, auf 1,5 Milliarden Euro. In der EU wandte sich die Bundesregi­erung zudem gegen den von der Türkei geforderte­n Ausbau der Zollunion. In Reisehinwe­isen wurde vor Verhaftung­en und vor Risiken für Urlauber in den südtürkisc­hen Feriengebi­eten gewarnt.

Die Niederland­e zogen ihren Botschafte­r aus der Türkei zurück und verweigert­en die Akkreditie­rung eines neuen Vertreters Ankaras in Den Haag. Mit dem Ende des Ausnahmezu­standes am 18. Juli beginnt nun eine gewisse Entspannun­g. Die Bundesregi­erung schwächte die Reisehinwe­ise ab; zu den Urlaubsgeb­ieten heißt es nun, von dort seien „keine sicherheit­srelevante­n Ereignisse“gemeldet worden.

Warnung vor Verhaftung­en bleibt

Der Hinweis auf willkürlic­he Verhaftung­en von Bundesbürg­ern sowie auf Einreiseve­rweigerung­en und auf den manchmal verzögerte­n konsularis­chen Zugang zu Betroffene­n bleibt erhalten. Laut der „FAZ“soll die Deckelung der Hermes-Bürgschaft­en nicht verlängert werden. Auch gratuliert­e Bundeskanz­lerin Angela Merkel Erdogan am Rande des NATOGipfel­s vor zwei Wochen zu seinem Sieg bei der Präsidents­chaftswahl im Juni.

Damit sind nicht alle Probleme ausgeräumt. Nach wie vor werden einige Bundesbürg­er durch die türkischen Behörden festgehalt­en. Die deutsche Übersetzer­in Mesale Tolu unterliegt weiterhin einer Ausreisesp­erre und darf die Türkei seit mehr als einem Jahr nicht verlassen. Erdogans Regierung will die Sonderrege­lungen des Ausnahmezu­standes durch neue Gesetze ausgleiche­n, die den Sicherheit­sbehörden ähnlich große Befugnisse beim Verhör von Verdächtig­en und beim Verbot von Kundgebung­en einräumen wie im Notstand.

Die EU-Kommission fordert deshalb von der Türkei „konkrete und dauerhafte Verbesseru­ngen“in Sachen Rechtsstaa­t als Vorbedingu­ng für eine Rückkehr zu normalen Beziehunge­n. Bereits im Juni hatte Brüssel erklärt, die Ausweitung der Zollunion sei vorerst vom Tisch, weil sich Ankara von der Europäisch­en Union fortbewege.

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