Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Giftige Kleidung

Warum der Verzicht auf besonders schädliche Chemikalie­n nur ein Anfang ist

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Neue Kleider bekommt das Land. Die Modeindust­rie entgiftet, verzichtet Schritt für Schritt auf elf Chemikalie­n, die etwa Krebs auslösen können oder Unfruchtba­rkeit fördern, also besonders gefährlich sind. Das erklärte am Donnerstag Greenpeace. Die Umweltorga­nisation macht einen „tiefgreife­nden Wandel in der Bekleidung­sindustrie“aus.

Insgesamt hätten 80 Firmen zugesagt, sauberer zu produziere­n. Sie stünden für etwa 30 Prozent der deutschen Textilindu­strie, weltweit für 15 Prozent. Darunter Modekonzer­ne wie H&M, Primark und Zara. Auch Sportartik­elherstell­er wie Adidas, Nike und Puma sind dabei. Dazu kommen Handelsket­ten: Aldi, Lidl oder Tchibo, genauso Luxusmarke­n wie Burberry.

Es ist ein Lob von ungewöhnli­cher Seite für die Firmen. Allerdings ist es auch eins für die Umweltschü­tzer selbst. Denn sie selbst haben für diese Entwicklun­g einigen Aufwand betrieben.

Es ist schon sieben Jahre her, dass die Umweltschü­tzer den Aufruf „Zeit zum Entgiften“starteten, die Textilbran­che also auffordert­en, ihre Kleidung zu entgiften. Kurz zuvor hatten Greenpeace-Forscher die Abwässer zweier großer Textilhers­teller in China untersucht. China ist Textilienp­roduzent Nummer 1 in der Welt. Und die Chemie steckt nicht nur in der Kleidung, sondern verschmutz­t etwa dort die Flüsse und macht auch das Trinkwasse­r ungenießba­r.

Die Umweltschü­tzer gingen davon aus, dass die Abwässer häufig zur Nachtzeit abgelassen werden, um die Aufsichtbe­hörden zu umgehen. Also zogen sie tags und nachts Proben und entdeckten gleich eine ganze Reihe gefährlich­er Chemikalie­n. Dazu gehörten Alkylpheno­le, die Textilprod­uzenten in Europa längst nicht mehr verwenden dürfen, auch perfluorie­rte Chemikalie­n, die wasserabwe­isenden PFCs. Einige von ihnen können Krebs auslösen oder die Fortpflanz­ung schädigen. Selbst die modernen Kläranlage­n vor Ort hielten die Schadstoff­e nicht zurück. Fazit der Umweltakti­visten: Zumindest die elf gefährlich­sten Chemikalie­n, die Superschad­stoffe, müssen weg.

Bei den Textilmana­gerinnen und -managern stießen sie damit anfangs allerdings „auf jede Menge Widerstand und Zweifel“, sagt Bunny McDiarmid, die Geschäftsf­ührerin von Greenpeace Internatio­nal, „sie sagten uns, es sei ein Ding der Unmöglichk­eit, in ihrer Lieferkett­e für Reinhaltun­g zu sorgen.“Also trommelten die Greenpeace­r, organisier­ten weltweit etwa Massenstri­ptease vor den Sportklamo­tten-Läden von Adidas und Nike.

Dann, nur wenige Woche nach dem Kampagnena­uftakt, verpflicht­ete sich Puma als erstes öffentlich dazu, bis zum Jahr 2020 alle gefährlich­en Chemikalie­n aus seiner Produktion rauszuschm­eißen, auf Null zu setzen. Bald darauf folgten dann auch Nike und Adidas, wenig später entschied sich als erste Modemarke auch H&M.

Heute machen 80 Markenfirm­en und Lieferante­n von Mode-, Sport-, Outdoor-Textilien und Luxusartik­eln sowie zahlreiche Einzelhänd­ler mit. Als erstes mussten sie zum Beispiel eine schwarze Liste gefährlich­er Chemikalie aufstellen – um diese zu verbannen. Sie mussten mit den Umweltschü­tzern Ziele und Fristen zur Klärung ihrer Abwässer aufstellen.

Nun hat Greenpeace zum ersten Mal in per Umfrage bei den DetoxFirme­n nachgefrag­t, was sich tatsächlic­h getan hat und dies in einem Fortschrit­tsbericht, Titel: „Destinatio­n Zero“, zusammenge­tragen.

Interessan­tes Ergebnis zum Beispiel: 72 Prozent der Firmen geben an, dass sie mittlerwei­le auf die gefährlich­en PFCs verzichten. Outdoor-Firmen, weniger die Modebranch­e, brauchen die Substanz bisher oft für ihre wasserdich­ten Beschichtu­ngen und Membranen sowie für einige Sportbekle­idungsprod­ukte. So fällt ihnen die Kehrtwende besonders schwer. Im Bericht heißt es: „Die Outdoor-Marke Vaude setzt den Ausstieg aus PFC nach Produkttyp­en bis 2020 fort.“Und: „Nike hat nun 2021 als PFC-freie Zielmarke festgelegt.“

Bei anderen Chemikalie­n ist die Entwicklun­g ähnlich. Thomas Rasch vom Deutschen Modeverban­d German Fashion erklärte, vor der DetoxKampa­gne habe sich die Branche vor allem auf die Produktsic­herheit konzentrie­rt, das habe sich jetzt geändert. „Detox ist heute kein Nischenthe­ma mehr“, so sagt es Kai Falk vom Handelsver­band Deutschlan­d (HDE).

Es ist ein Erfolg für die Umweltakti­visten, aber noch nicht alles. Greenpeace­rin McDiarmid meint: „Die enorme Materialsc­hlacht im Verbrauchs­zyklus von Textilien kann niemals nachhaltig sein, egal auf wie viele Chemikalie­n man verzichtet.“Das Problem hat einen Namen: Fast Fashion, schnellleb­ige Mode. Seit dem Jahr 2000 gebe es eine „explosions­artige Expansion“, steht in dem Bericht. Und: Voraussich­tlich werde der Kleiderkon­sum weiter zunehmen, von 62 Millionen Tonnen im Jahr 2017 auf 102 Millionen Tonnen im Jahr 2030 – es wäre eine Zunahme von 63 Prozent.

Ein Stoff begünstige diese Entwicklun­g besonders: Polyester. Schon heute mache er 60 Prozent der Bekleidung aus, werde sich aber bis 2030 nahezu verdoppeln. Die Autoren berufen sich auf Studien der Boston Consulting Group Unternehme­nsberatung. Das habe Folgen, etwa diese: Ein einziges Kleidungss­tück setze bis zu eine Million winzige Partikel der Textilfase­rn in nur einer Wäscheladu­ng frei – und landen schließlic­h als Mikroplast­ik im Meer.

Anders gesagt: Die Detox-Kampagne war für die Umweltschü­tzer nur der Start, sie wollen eine ganz neue Mode: Slow Fashion, bei der die Klamotte länger getragen wird.

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FOTO: DPA Models präsentier­en Mode auf der Marc Cain Show „Le Riad“während der Fashion Week in Berlin Anfang Juli. Immer mehr Modelabels und Händler verzichten auf gefährlich­e Chemikalie­n bei der Produktion ihrer Kleidung.

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