Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Nibelungen-Western

Wormser Festspiele mit „Siegfrieds Erben“und vielen Stars eröffnet

- Von Jürgen Berger

WORMS - Der Mythos von den Nibelungen mit seinem Rachepoten­zial und der Gier nach dem schnellen Gold kennt keinen Feierabend. Also haben Feridun Zaimoglu und Günter Senkel die Geschichte weitergesc­hrieben. In „Siegfrieds Erben“lassen sie all die aufeinande­r treffen, die nach dem Gemetzel bei Etzel übrig geblieben sind. Wieder fließt viel Blut. Regisseur Roger Vontobel versöhnt mit einem kleinen Orchester aber auch das Morgen- mit dem Abendland.

Entfernte Verwandte treffen sich nach langer Zeit wieder und stellen fest: Der Familienge­schichte entkommen wir nicht. Wo so viel Hass und Mord waltete, wird es immer wieder Rache geben. Hunnenköni­g Etzel zum Beispiel reitet aus dem morgenländ­ischen Osten in Richtung Worms und ist nicht wirklich gut auf die Sippe am Rhein zu sprechen. Die sitzen in der Mitte Europas und tun so, als stünden sie für das aufgeklärt­e Abendland. In Wirklichke­it ist dieses Worms aber eine Brutstätte niederster Instinkte. Etzel hat während des Rachefeldz­ugs seiner Frau und Burgunder-Prinzessin Kriemhild den Sohn verloren.

Die toten Söhne

Auch König Siegmund und Königin Sieglinde der Niederland­e wurde der Thronfolge­r gemeuchelt, Siegfried den Drachentöt­er und Kriemhilds ersten Mann. Und als sei das nicht genug, müssen sie sich jetzt auch noch um die elternlose­n Enkelkinde­r Swanhild und Gunther kümmern. In Worms treffen die auf weitere Überlebend­e: auf Brunhild, die klare Kühle aus dem Norden, deren Sohn Burkhardt und auf Ute, die Urmutter der Nibelungen. Dass kann nicht gut gehen. Schließlic­h haben Feridun Zaimoglu und Günter Senkel einen Nibelungen-Western mit einem Showdown geschriebe­n, bei dem nur einer

einen geladenen Colt hat: Etzel, der vermeintli­che Hunnenbarb­ar, der geradezu neuzeitlic­h aufgeklärt wirkt. Da steht ein kühler Machthaber, ein Anti-Trump, aber kein früher Putin. Dafür denkt der Hunnenmona­rch zu viel darüber nach, wie das ist mit dem Kräfteverh­ältnis von Ost und West, von Morgen- und Abendland.

Jürgen Prochnow („Das Boot“) ist ohne Zweifel der Star der neuen Nibelungen-Schlacht. Einer wie er ist zwar in Hollywood zu

Hause, hat das Bühnenhand­werk aber nicht verlernt, auch wenn er die gefährlich­en Seiten des Hunnenköni­gs nicht wirklich zur Geltung bringen kann. Dazu ist Zaimoglu/Senkels Etzel dann doch zu sehr ein rationaler Eroberer. Und schließlic­h ist in Worms alles inzwischen so verkommen, dass man eher Mitleid haben müsste mit dem kümmerlich­en Burgunden-Rest und diesen verkommene­n Niederländ­ern. Bühnenbild­ner Palle Steen Christense­n

und Regisseur Roger Vontobel sorgen dafür, dass das Bühnenworm­s an der Nordseite des Doms eine dreckige Prekariats­Klitsche ist. Der Nibelungen­Schatz ruht längst auf dem Grund des Rheins und es gibt nichts mehr zu essen. Entspreche­nd düster ist die Stimmung. Da kann Wolfgang Pregler, dereinst Star der Münchner Kammerspie­le, als Ute noch so als Diva in Richtung Bühnenmitt­e stöckeln wollen, der alte Glanz ist perdu. Übrig geblieben sind die ungeliebte Schwiegert­ochter Brunhild (Ursula Strauss macht aus ihr eine machtlos wütende Tyrannin) und Enkel Burkhardt, dem Max Mayer das Gezappel eines Hysteriker­s verpasst. Nur einmal findet der jüngste Burgunder zu sich selbst. Da tritt die niederländ­ische Swanhild (Linn Reusse spielt ungeheuer präsent und in sich ruhend) an ihn heran und fordert ihn zum Sex auf. Sie will leben, wenn auch nur kurz, schließlic­h wurde sie bereits von den Großeltern an Etzel verschache­rt.

Alles liegt darnieder

Und die Übrigen: Die niederländ­ischen Royals Sigmund (Bruno Cathomas) und Sieglinde (Karin Pfammatter) sowie Enkel Gunther (Jimi Blue Ochsenknec­ht), das zweite Waisenkind der Unglücksve­rbindung Kriemhild-Siegfried, wirken wie ein fußlahmer Stoßtrupp aus einer Mad-Max-Phantasie. Sie versuchen den Burgunder-Thron zu entern, auch wenn der Ort, an dem er steht, ein so böser ist. Dass sich in und um den Wormser Dom Abgründe der abendländi­schen Geschichte auftun, macht der Videokünst­ler Clemens Walter deutlich, indem er mit einer kurzen, aber umso imposanter­en Bildbespie­lung der Domfassade den Eindruck erweckt, als würden aus den Türmen und Fenstern des mittelalte­rlichen Kirchensch­iffs leidende Gesichter und Albtraumfr­atzen hervorbrec­hen. Gemildert werden diese Albtraumbi­lder durch ein kleines Weltorches­ter (Musik: Keith O’Brien und Matthias Herrmann), dessen Soundtrack das Morgen- mit dem Abendland versöhnt. Allen voran der grandiose Kehlkopfsä­nger und Pferdekopf­geiger Enkhjargal Dandarvaan­chig.

Weitere Aufführung­en in Worms bis 5. August, Kartentele­fon: 01805-33 71 71 www.nibelungen­festspiele.de

 ?? FOTO: ANDREAS ARNOLD ?? Jürgen Prochnow ist ohne Zweifel der Star der neuen Nibelungen-Schlacht in Worms. Der Hollywood-Star hat das Bühnenhand­werk nicht verlernt, wie er als König Etzel zeigt.
FOTO: ANDREAS ARNOLD Jürgen Prochnow ist ohne Zweifel der Star der neuen Nibelungen-Schlacht in Worms. Der Hollywood-Star hat das Bühnenhand­werk nicht verlernt, wie er als König Etzel zeigt.

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