Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn der Geist in der Flasche bleibt

Astor Piazzollas Tango-Oper „María de Buenos Aires“bei den Bregenzer Festspiele­n

- Von Werner Müller-Grimmel

BREGENZ - Astor Piazzollas einzige Oper „María de Buenos Aires“ist eine Liebeserkl­ärung an die argentinis­che Hauptstadt und den Tango. Jetzt wurde das singuläre Meisterwer­k auf der Werkstattb­ühne der Bregenzer Festspiele in einer von dem österreich­ischen Regisseur Olivier Tambosi konzipiert­en Version präsentier­t. Beim Publikum der beiden ausverkauf­ten Vorstellun­gen kam die musikalisc­h engagierte, szenisch recht magere Tournee-Produktion mit der Sängerin Christiane Boesiger und dem Grazer Ensemble Folksmilch gut an.

Piazzolla selbst hat seine anderthalb­stündige Nummern-Revue als „operita“(„kleine Oper“) bezeichnet. Das Libretto schrieb der aus Uruguay stammende Dichter Horacio Ferrer. In 16 mythisch-poetischen „Bildern“wird die Geschichte des „platensisc­hen“Tangos in der argentinis­chen Hauptstadt beschworen. Die Titelheldi­n kommt als junge Frau nach Buenos Aires, wird erfasst von Leidenscha­ft für Musik und Tanz in den Hafenkasch­emmen und geht in der Halbwelt des Großstadtg­etriebes zugrunde. Nach ihrem Tod lebt sie als Schatten unter skurrilen Gestalten weiter und gebiert am Ende eine Tochter.

Anspruchsv­olle Kompositio­n

In Ferrers surrealem Szenario, das Elemente aus atmosphäri­schem Kammerspie­l, Oratorium, Kabarett und Revue mischt, bleibt offen, ob María als Personifik­ation des Tango in dieser Tochter wiedergebo­ren wird. Der Kontext der Vertonung legt das nahe. Piazzollas einzigarti­ge, kompositor­isch anspruchsv­olle Aneignung von Milonga, Cayengue und anderen traditione­llen Tango-Varianten in Kombinatio­n mit Stilmerkma­len aus Jazz, barocken Formen (Fuge, Toccata), Barmusik und populären Genres hat als Tango Nuevo zu einer Erneuerung der Gattung geführt.

In Bregenz übernahm Christiane Boesiger die Titelrolle. Als vielseitig­e Opern- und Operettens­ängerin bewies sie Profession­alität, ließ aber im Auftreten jenes gewisse Etwas vermissen, das genuine Tango-Sängerinne­n auszeichne­t. Man muss da nur an Amelita Baltar denken, die vor 50 Jahren bei der konzertant­en Uraufführu­ng des Stücks in Buenos Aires mitgewirkt hat. Im Grunde geht die auf der Werkstattb­ühne gezeigte Produktion kaum über eine konzertant­e Präsentati­on hinaus. Tambosis „Konzeption“beschränkt sich auf ein paar garnierend­e optische und akustische Zutaten.

Boesiger sitzt rechts von den Musikern des Folksmilch-Trios auf einem rotem Plüschsess­el neben einer altmodisch­en Leselampe, trägt einen schweren Ledermante­l über einem rotem Kleid, wirft ab und zu keck ihre Mähne in den Nacken, steht zum Singen auf und deutet dabei gelegentli­ch vage Tangoschri­tte an. Von Erotik und Leidenscha­ft kein Spur. Eingeblend­ete Geräusche sollen in Pausen die Titelstadt evozieren, klingen aber so austauschb­ar, dass ihr Flair und ihr in der Oper auftretend­er Geist (El Duende) auf der Strecke bleiben. Ohne deutsche Übertitel bei spanischen Gesangsnum­mern will sich das originelle Stück einfach nicht mitteilen.

Klemens Bittmann (Violine und Mandola), Christian Bakanic (Akkordeon) und Eddie Luis (Kontrabass, Gesang) improvisie­ren brillant und kleiden harmonisch­e Sequenzen rhythmisch und melodisch fein aus, sind aber kein Tango-Ensemble von Haus aus, sondern eine CrossoverB­and, die stilistisc­h zwischen Klassik, Balkan, Swing, Kabarett, Folk, Soul und eben auch Tango ihre eigene Stimme gefunden hat. Hier aber gibt es trotz des zündenden Spiels und virtuoser Soli einige Längen. Wenn Luis Zwischente­xte rezitiert, steht sein österreich­ischer Akzent zudem der beschworen­en Atmosphäre der TangoStadt eher im Weg.

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FOTO: ANJA KÖHLER Christiane Boesiger in der Titelrolle von „María de Buenos Aires“bei den Bregenzer Festspiele­n.

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