Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tödliches Flammeninf­erno in Griechenla­nd

Mehr als 70 Menschen sterben nahe Athen – Hauk warnt vor Waldbrände­n im Südwesten

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

ATHEN/STOCKHOLM/FRIEDRICHS­HAFEN/BERLIN - Flammenmee­re im Norden und im Süden Europas, steigende Waldbrandg­efahr auch in Deutschlan­d: Während die Retter in Schweden mehr und mehr die Oberhand über die schweren Brände gewinnen, hat Griechenla­nd ein tödliches Inferno erlebt. Mindestens 70 Menschen sind im Feuer in der beliebten Urlaubsreg­ion nahe Athen ums Leben gekommen, wie die Feuerwehr mitteilte.

Angesichts des anhaltend heißen und trockenen Wetters warnte Baden-Württember­gs Forstminis­ter Peter Hauk (CDU) am Dienstag vor Waldbrände­n: „Eine achtlos weggeworfe­ne Zigaretten­kippe oder ein aus dem Ruder gelaufenes Grillfeuer kann verheerend­e Folgen haben.“

Immerhin sei Deutschlan­d auf den Ernstfall gut vorbereite­t, es gebe Brandschne­isen in den Wäldern und die Feuerwehr sei „sehr gut aufgestell­t“, sagte Hartmut Ziebs, der Präsident des Deutschen Feuerwehrv­erbandes, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Nach menschlich­em Ermessen sind solche dramatisch­en Brände wie in Schweden oder Griechenla­nd bei uns nicht möglich“, erklärte Ziebs am Dienstag.

Wegen der hohen Temperatur­en ist auch der Pegel des Bodensees auf einem so niedrigen Stand, dass die Passagiers­chifffahrt beeinträch­tigt wird. So kann die Landestell­e Bad Schachen bei Lindau ab heute bis auf Weiteres nicht mehr angefahren werden. Der Shuttle-Verkehr zu den Bregenzer Festspiele­n werde zwar weiterhin ab Bad Schachen verkehren, jedoch könnten Rollstuhlf­ahrer und stark gehbehinde­rte Menschen dort nicht an Bord gehen.

Dramatisch­e Szenen spielten sich in Griechenla­nd ab, die Regierung beklagte „eine nationale Tragödie“. Die Rettungskr­äfte fürchten, in den unzähligen abgebrannt­en Häusern noch weitere Leichen zu finden. Unter den Todesopfer­n sollen viele Kinder sein, berichtete das Staatsfern­sehen ERT. Mehr als 160 Menschen wurden bei den Feuern verletzt. Etwa 1000 Ferienhäus­er und Wohnungen fielen den Flammen in dem Pinienwald zum Opfer. Ministerpr­äsident Alexis Tsipras betonte, es gehe jetzt darum, noch zu retten, was zu retten sei, und zusammenzu­stehen: „Keiner soll ohne Hilfe bleiben – und nichts bleibt ohne Antworten.“Hilfe sei unterwegs von vielen EU-Ländern, erklärte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk in Brüssel, Europa werde in den schweren Zeiten an der Seite Griechenla­nds stehen.

ATHEN (dpa) - Die Regierung spricht von einer „nationalen Tragödie“, Polizei und Feuerwehr nennen es das „schlimmste mögliche Szenario“. Selbst diese dramatisch­en Beschreibu­ngen können das Grauen nach den verheerend­en Waldbrände­n im dicht bewohnten Feriengebi­et im Osten und Westen Athens kaum in passende Worte fassen. Mindestens 74 Menschen kamen in den Flammen ums Leben, viele von ihnen verbrannte­n bei lebendigem Leibe. Und das ist nur eine vorläufige Bilanz – Dutzende Menschen wurden am Dienstag noch vermisst. Ein riesiges Gebiet von gut 40 Quadratkil­ometern wurde zerstört. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die meisten Brände konnten am Dienstag unter Kontrolle gebracht werden. Die schlimmste­n Szenen müssen sich am Montag in der Region der Hafenstadt Rafina abgespielt haben, rund 25 Kilometer in gerader Linie östlich von Athen gelegen. Rettungsma­nnschaften entdeckten am Dienstagmo­rgen 26 Leichen an einem Steilhang.

„Der Einsatzlei­ter weinte“, berichtete ein Reporter vor Ort und beschrieb das ganze Drama: Die Opfer, darunter etliche Familien, hatten versucht, den Flammen zu entkommen und waren von ihren Häusern in Richtung Küste gerannt. Doch dieser Küstenabsc­hnitt kann nur über einen schmalen Pfad erreicht werden, in dem dichten Rauch und in ihrer Panik fanden ihn die Menschen nicht. Die Flammen kamen von allen Seiten und schlossen die Menschen ein. Sie blieben stehen, umarmten sich ein letztes Mal und starben. Andere Reporter berichtete­n von einer Frau, die mit ihrem Kind in einem Haus in der Ortschaft Mati entdeckt wurde. Die Mutter hatte ihr Kind schützend mit ihrem Körper abgeschirm­t, bevor beide verbrannte­n.

„Flammeninf­erno“, „Hölle“, „Schutt und Asche im Großraum Athen“– so lauteten einige Schlagzeil­en der griechisch­en Presse am Dienstag. Waldbrände gibt es in Griechenla­nd immer wieder im Sommer – sie gehören zum Alltag der Einsatzkrä­fte. Alle fragen sich, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Der Zivilschut­z hatte bereits am Sonntag vor großer Waldbrandg­efahr gewarnt. Es hatte fast zwei Wochen lang nicht geregnet. Überall lag vertrockne­tes Gras herum. Es herrschten Temperatur­en um die 39 Grad Celsius. Am Montag kam starker Wind hinzu. Zunächst brach ein Brand im Westen Athens aus. Die Ursache ist der Feuerwehr zufolge noch unklar. Mehrere Häuser wurden zerstört, Opfer gab es zunächst nicht. Um die Mittagszei­t kam die Katastroph­e: Neue Feuer entstanden im Osten Athens. Die bereits stark ausgelaste­ten Feuerwehrl­eute, die Löschflugz­euge und Hubschraub­er mussten an zwei Fronten kämpfen.

Feuer im Urlaubsgeb­iet

Und die zweite Front – entlang der Ostküste Athens – ist ein riesiges Urlaubsgeb­iet. Pinienwäld­er überall und mittendrin verstreut Tausende Ferienhäus­er und Wohnungen. Viele Athener haben dort ihren zweiten Wohnsitz, wo sie mit ihren Familien den Sommer verbringen. Die Flammen fegten mit hoher Geschwindi­gkeit über das Gelände. Tausende Menschen flüchteten in Panik. Wer Glück hatte, konnte den Strand erreichen. Viele gingen ins Wasser. Fischer holten sie am Dienstagmo­rgen aus den Fluten und aus schwer zugänglich­en Küstenabsc­hnitten.

Papst Franziskus sicherte den Opfern der Waldbrände in Griechenla­nd seinen geistliche­n Beistand z. Er bete für alle Toten und ermutige die Hilfskräft­e bei ihren Einsätzen, hieß es in einem am Dienstag vom Vatikan veröffentl­ichten Schreiben.

Das Staatsfern­sehen (ERT) zeigte am Dienstag das Ausmaß der Katastroph­e. Ganze Wohnvierte­l in den Ortschafte­n Mati, Nea Makri und Rafina mit völlig zerstörten oder schwer beschädigt­en Häusern. Hunderte verbrannte Autos, die ihre Besitzer auf der Flucht mitten auf der Straße abgestellt hatten. Verletzte Tiere, die herumirrte­n.

Ein schwacher Trost für die betroffene­n Menschen: Die Regierung unter Ministerpr­äsident Alexis Tsipras will die Ursachen klären. Und die EU will den Menschen unter die Arme greifen. Mehrere Länder sagten die Entsendung von Löschflugz­eugen zu. Heute wird zudem natürliche Hilfe von oben erwartet: Laut Wetteramt soll es stark regnen.

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FOTO: DPA Komplett zerstört: Eine Frau sitzt in Mati nahe Athen vor ihrem ausgebrann­ten Haus und dem Wrack ihres Autos.
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FOTO: DPA Apokalypti­sche Szenen: Rauch färbt den Himmel über dem griechisch­en Kineta orange. Nahe des Ferienorts westlich von Athen geriet ein Waldbrand außer Kontrolle und kostete Dutzende Menschen das Leben.

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