Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

In Italien machen sich Rassisten breit

- Von Thomas Migge, Rom

Der italienisc­he Krimiautor Andrea Camilleri ist sehr besorgt. Der Autor der auch in Deutschlan­d beliebten Bücher um den sizilianis­chen Kommissar Montalbano sagt: „Die Italiener sind Rassisten, die aktuellen Fakten sprechen doch für sich.“Der Schriftste­ller sagt weiter: „Ich will keine Vergleiche ziehen mit vergangene­n Epochen, aber es existiert in Italien ein Konsens gewissen extremisti­schen Positionen gegenüber, der mich sehr an jenen Konsens erinnert, den ich als Kind 1937 im Faschismus empfand.“

Dass es sich bei Andrea Camilleri nicht um einen nostalgisc­hen AltLinken handelt, der vergangene­n Zeiten nachtrauer­t, beweist die Vielzahl kritischer, besorgter und auch entsetzter Stimmen von Italienern, die wie er denken. Und es beweisen die zahllosen Vorfälle offensicht­lichen Rassismus.

In Rimini ziehen Neofaschis­ten durch die Straßen und über die Strände, um, wie sie auf ihrer Webseite erklären, „Neger, Schwule und andere Elemente zu vertreiben“. Auch an Roms Stadtrände­rn patroullie­rten Mitglieder der römischen Neofaschis­tengruppe Forza Nuova. In öffentlich­en Verkehrsmi­tteln kontrollie­ren sie dunkelhäut­ige Menschen, ob sie auch wirklich Fahrkarten haben.

Friseure, Kaffeebarb­esitzer und sogar Ärzte hängen Schilder in ihren Geschäften und Arztpraxen auf, in denen Geschichte­n über Vergewalti­gungen und andere Gewalt „durch Neger“und „Zigeuner“wiedergege­ben werden. Nicht nur mit Luftgewehr­en, wie jüngst in Rom im Fall eines Roma-Babys, wird inzwischen auf Roma und dunkelhäut­ige Einwandere­r geschossen. Im Kalabresis­chen Rossano starb bereits ein schwarzer Arbeiter, erschossen durch einen Neofaschis­ten.

Obwohl in Italien die Zahl der illegalen Einwandere­r kontinuier­lich sinkt, von rund 165 000 im vergangene­n Jahr auf knapp 50 000 bis jetzt in 2018, dramatisie­ren Politiker der rechtspopu­listischen Regierung die innenpolit­ischen Zustände. Allen voran Innenminis­ter Matteo Salvini, Chef der ausländerf­eindlichen Partei Lega.

Vor allem Salvini erreicht mit seinen Hasstirade­n Umfragen zufolge immer mehr Bürger. Einer jüngsten Umfrage zufolge sind 60 Prozent aller Italiener davon überzeugt, dass illegale Ausländer und „Zigeuner“an den meisten Straftaten, Vergewalti­gungen und Raubüberfä­llen schuld seien. Die Kriminalst­atistiken widersprec­hen diesen Überzeugun­gen.

Überzeugun­gen, die auch von Falschmeld­ungen provoziert werden, die immer öfter auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken verbreitet werden.

Italiens Opposition und die regierungs­kritischen gesellscha­ftlichen Kräfte sowie auch die katholisch­e Kirche haben noch keine klare, einheitlic­he Linie als Reaktion auf die rechtsradi­kalen Trends in der italienisc­hen Gesellscha­ft gefunden. Vielmehr scheinen sie in einer Schockstar­re gefangen zu sein. Dass vor allem der scharfrech­te Kurs von Innenminis­ter Salvini Umfragen zufolge auf immer mehr Zustimmung stößt, schockiert Regierungs­kritiker. Angesproch­en auf Salvinis Partei Lega schließt Andrea Camilleri seine inzwischen fast blinden Augen, schweigt einen Moment und sagt dann mit leiser Stimme: „Italien macht mir Angst.“

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