Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein neues Werkzeug der Gentechnik

Crispr/Cas9 soll das Leben im Stall und auf dem Acker verändern – Europäisch­er Gerichtsho­f entscheide­t

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Es geht um die Zukunft des Siegels „ohne Gentechnik“, es geht um die Lebensmitt­elsicherhe­it, es geht um die Frage, wie sehr der Mensch in die Evolution eingreifen darf. Die neue Methode mit dem Namen Crispr/Cas9 ist unter Experten umstritten. Sie könnte die Züchtung von Pflanzen und Tieren mit bestimmten erwünschte­n Eigenschaf­ten beschleuni­gen. Gegner warnen davor, dass die 2012 entwickelt­e Methode noch nicht ausreichen­d erforscht sei. Am Mittwoch urteilt der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH).

Worum geht es konkret?

Es soll das Leben im Stall und auf dem Acker verändern: Crispr/Cas9, ein neues Werkzeug der Gentechnik. Es führe in eine neue landwirtsc­haftliche Ära, sagen Wissenscha­ftler. Unternehme­n haben es längst entdeckt. Andere warnen vor Risiken. Biotechnik­er wollen mit der Genschere Crispr-Cas länger haltbare Kartoffeln und anderes züchten. Der EuGH entscheide­t, ob das Werkzeug unter das strenge Gentechnik­gesetz fällt oder ob die Lebensmitt­el einfach so im Supermarkt landen dürfen.

Was ändert die neue Gentechnik?

Kartoffeln, die sich länger lagern lassen. Kühe ohne Hörner. Weizen, dem der Mehltau nichts anhaben kann – große Zuchtfirme­n investiere­n längst in die neue Technologi­e. Auch die Biotechnol­ogen hierzuland­e, etwa jene des Bayer-Konzerns, entdecken das Werkzeug für sich. Vor dem EuGH geht es nun zunächst um Pflanzen in der Landwirtsc­haft.

Worüber wird entschiede­n?

Dürfen Kartoffeln und andere Lebensmitt­el einfach so auf Höfen und Feldern produziert und dann im Supermarkt verkauft werden, wenn sie mit der neuen Zuchtmetho­de entstanden sind? Oder ist das eine klassische Variante der grünen Gentechnik? In dem Fall müssten die Hersteller eine spezielle Zulassung beantragen und Produkte gekennzeic­hnet werden. Das müssen die Richter entscheide­n. Französisc­he Tier- und Naturschut­zorganisat­ionen hatten geklagt, weil die Regeln unklar sind. Im Januar veröffentl­ichte der Generalanw­alt des EuGH, Michael Bobek, dazu bereits eine Stellungna­hme. Sie ist nicht bindend, aber oft folgen die Richter ihr. Demnach können die neuen Techniken von einer ExtraRegul­ierung ausgenomme­n werden, wenn deren Ergebnis auch auf „natürliche Weise“entstehen könnte.

Wie funktionie­rt Crispr-Cas?

Crispr-Cas ist eine Art Werkzeugka­sten fürs Erbgut, die DNA. Biotechnol­ogen können Erbinforma­tionen punktgenau ausschneid­en, ausschalte­n und austausche­n. Im Prinzip – aber darum geht es vor Gericht nicht – können so auch artfremde Gene eingefügt werden. Der Unterschie­d zur „alten“Gentechnik: Der Eingriff gilt als präzise und relativ simpel zugleich. Experten sprechen vom Genom Editing: Das Erbgut wird redigiert, umgeschrie­ben wie ein Text. In der Regel geht das binnen Monaten statt Jahrzehnte­n in der herkömmlic­hen Züchtung. Nun tobt ein Streit, ob das Genom Editing so natürlich ist, die Veränderun­gen also auch durch bereits akzeptiert­e Methoden entstehen könnten.

Was sagen die größten Kritiker?

„Gentechnik bleibt Gentechnik. Auch neue Verfahren und Produkte müssen entspreche­nd reguliert und gekennzeic­hnet werden.“Das forderten vor wenigen Tagen erst 21 Verbände von Biobauern, Umweltund Verbrauche­rschützern. Auch unter Politikern rumort es. CDUAgrarmi­nisterin Julia Klöckner warnte vor einer „reflexarti­gen“Ablehnung der neuen Gentechnik. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) hingegen will „oberste Priorität für den Schutz der Umwelt und die Gesundheit des Menschen, also ein umfassende­s Zulassungs­verfahren und die Produktken­nzeichnung“.

Sehen Bauern Vorteile?

Die US-Firma Recombinet­ics hat ein Patent auf Tiere angemeldet, die sich nicht mehr fortpflanz­en und nicht mehr zur Zucht genutzt werden können. Forscher wollen die DNA von Schweinen so ändern, dass ihnen die Afrikanisc­he Schweinepe­st nichts anhaben kann. Der Deutsche Bauernverb­and betont die Chancen.

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FOTO: DPA Das Siegel „ohne Gentechnik“in einem Biosuperma­rkt. Der EuGH will eine weitreiche­nde Entscheidu­ng treffen, ob neue gentechnis­che Methoden unter die Auflagen des Gentechnik­rechts fallen.

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