Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schmerz, Jubel und Innigkeit im Dreiklang

Beim ersten Orchesterk­onzert in Bregenz glänzen die Wiener Symphonike­r mit slawischer Klangprach­t

- Von Katharina von Glasenapp

BREGENZ - Die Chemie scheint schon zu stimmen: Der kolumbiani­sche Dirigent Andrés Orozco-Estrada wird in vier Jahren Chefdirige­nt der Wiener Symphonike­r werden und stellte sich beim ersten FestspielO­rchesterko­nzert des Klangkörpe­rs mit einem ganz und gar slawischen Programm vor. Auch der Prager Philharmon­ische Chor durfte glänzen.

Ungewöhnli­ch sind Formen und Besetzung in Bohuslav Martinus Doppelkonz­ert für zwei Streichorc­hester, Klavier und Pauke: Man hört stetes Pulsieren in rascher gezackter Bewegung, Orchesterg­ruppen, die sich zuspielen und einander antworten, ein transparen­tes Spiel, das in den Außensätze­n auch die Virtuositä­t der Streicherg­ruppen zeigt. Das Soloklavie­r (Ivo Kahánek) wiederum ist manchmal nur als zusätzlich­e Klangfarbe zu hören. Im ausdrucksv­ollen langsamen Satz tritt es hervor – flüsternd, raunend, aufgewühlt. Das Konzert entstand zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz. Angst und Sorge um die tschechisc­he Heimat, aber auch Hoffnungen sind darin gespiegelt. Mit seiner bildhaften und sehr präzisen Körperspra­che führte Orozco-Estrada die Wiener Streicher, den Pianisten und den Solopauker Michael Vladar durch Martinus farbenreic­he Klangwelt.

Abend für Abend ist der Prager Philharmon­ische Chor in Bizets „Carmen“und Goldschmid­ts „Beatrice Cenci“gefordert, nun brachte er auch noch Antonin Dvoráks mächtiges „Te Deum“zur Aufführung: Der Komponist schuf es 1892 für seinen Einstand in Amerika und zur 400Jahr-Feier der Entdeckung des Landes. Entspreche­nd festlich, groß besetzt mit Blechbläse­rn, Schlagwerk und stimmgewal­tigen Chorsätzen ist es komponiert. Doch unter dem kolumbiani­schen Dirigenten wurden auch die innigen Zwischente­ile oder die im Pianissimo geführten Chorstimme­n zur Begleitung der Sopransoli­stin zum Erlebnis.

Mit der slowenisch­en Sopranisti­n Mojca Bitenc war eine der drei Darsteller­innen der Micaela in „Carmen“eingeladen worden: bestechend ihre Pianokultu­r, das feine Leuchten ihrer Stimme, die im Finale auch das größte Orchester- und Choraufgeb­ot überstrahl­t. Der polnische Baritonsol­ist Dariusz Perczak – auch er gehört als Dancaïro zur „Carmen“-Besetzung – interpreti­erte seine imposanten Passagen mit großer Inbrunst. Der Chor und sein sympathisc­her Leiter Lukáš Vasilek wurden zu Recht bejubelt, ist doch das Werk auch wegen seiner Anforderun­gen an Chor und Orchester selten zu hören.

Ein frisches Finale

Oft und immer wieder gern gehört ist dagegen Dvoráks neunte Symphonie „Aus der neuen Welt“mit ihren schönen Soli, der Poesie des langsamen Satzes, den Rhythmen und Melodien, die der Komponist der „Volksmusik der Neger und Indianer“abgelausch­t haben will. Orozco-Estrada hat einen durchaus frischen Blick auf das beliebte Werk, überrascht mit Akzenten und Kontrasten, mit manchmal gehetzt klingenden Tempi, die im Gegenzug dann wieder stark zurückgeno­mmen werden. Mit langem Atem spannt der Solist am Englischho­rn seine Melodiebög­en im Largo, seidige Streicher mit präsenten Mittelstim­men antworten ihm. Tänzerisch­e Impulse setzt der Dirigent im Scherzo, auch das Finale wirkt frisch aufpoliert und wird von gleißenden Bläserklän­gen überstrahl­t.

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FOTO: DPA Dirigent Andrés Orozco-Estrada

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