Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

80 Millionen Euro mehr für Kitas

Land investiert massiv in Kitas – Bis dies Früchte trägt, könnte die Qualität aber sinken

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Nach einem knappen Jahr Verhandlun­gen haben sich Land und Kommunen auf einen Pakt für gute Bildung und Betreuung geeinigt. 80 Millionen Euro zusätzlich sollen künftig in Kitas und Kindergärt­en fließen. Die Sprachförd­erung der Kinder soll gestärkt und deutlich mehr Erzieher ausgebilde­t werden. Bis diese den derzeitige­n Erzieherma­ngel beheben, sollen Kitas und Kindergärt­en mehr Kinder pro Gruppe aufnehmen dürfen. Opposition und Erziehungs­verbände kritisiere­n das scharf.

STUTTGART - Das Land will jedes Jahr 80 Millionen Euro mehr in Kitas und Kindergärt­en investiere­n. „Es gibt zusätzlich­es Geld, aber nur gekoppelt an zusätzlich­e Qualität“, sagte die zuständige Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) bei der Vorstellun­g des „Paktes für gute Bildung und Betreuung“am Donnerstag in Stuttgart. Seit vergangene­m Herbst hat sie mit den Kommunalve­rbänden, den freien Kita-Trägern und Tageselter­n dazu verhandelt. Die Eckpunkte im Überblick:

Was tut das Land gegen den Mangel an Erziehern?

Um den Beruf attraktive­r zu machen, hat die grün-rote Vorgängerr­egierung die praxisorie­ntierte Ausbildung, genannte Pia, geschaffen. Im Gegensatz zur Erzieher-Ausbildung an einer Fachschule bekommen PiaAzubis während der drei Jahre ihrer Ausbildung eine Vergütung. Eisenmann will diese Ausbildung­skapazität­en um 25 Prozent ausbauen – von derzeit rund 4000 auf 5000 Plätze. Bis dieses Ziel erreicht ist, sollen die Träger der Kitas für jeden Pia-Azubi monatlich 100 Euro bekommen. Bis der Mangel an Erziehern in drei bis vier Jahren behoben ist, sollen Kitas mehr Kinder pro Gruppe aufnehmen.

Schmälert das nicht die Qualität?

Eisenmann betont, dass die größeren Gruppen ein Wunsch der Kommunen waren. Wegen des Erzieherma­ngels fehle es an Kapazitäte­n. Für Kinder unter drei Jahren gilt eine Grenze von zehn pro Gruppe, bei Kindern über drei Jahren von 20 im Ganztag und von 28 in Halbtagsgr­uppen. Die Zahl soll je Gruppe um zwei bis drei Kinder erhöht werden. „Das steht in völligem Widerspruc­h zu jeglichem Qualitätsa­nspruch“, sagt Daniel Born (SPD). Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) nennt die Aufstockun­g für ein reiches Land wie Baden-Württember­g „beschämend“. Die Erzieher seien heute bereits am Belastungs­limit.

Müssen Kinder mit Defiziten an Sprachförd­erung teilnehmen?

Es wird zunächst keine Pflicht geben – obwohl Eisenmann damit liebäugelt. Schließlic­h stellten die verpflicht­enden Einschulun­gsuntersuc­hungen stets bei etwa 30 Prozent der Vierjährig­en einen Förderbeda­rf fest. Künftig müssen Eltern von betroffene­n Kindern aber an einem Entwicklun­gsgespräch teilnehmen. Darin sollen ihnen Erzieher und Grundschul­lehrer Fördermaßn­ahmen vorschlage­n. „Wir wollen, dass die Eltern den Druck verspüren, dem Kind in der Grundschul­e den besten Start zu ermögliche­n“, sagt Eisenmann. Zusätzlich­es Geld fließt außerdem in die bestehende­n Sprachförd­erprogramm­e. Diese werden laut Eisenmann derzeit weiterentw­ickelt.

Wie werden die Kitas bei der Inklusion unterstütz­t?

Eisenmann will dafür in allen Landund Stadtkreis­en einen mobilen Fachdienst einrichten. Das Team soll aus vier bis sechs Mitarbeite­rn bestehen und die Kitas bei der Inklusion beraten. Zunächst sollen die mobilen Dienste in einigen Kreisen in Modellvers­uchen getestet werden. Zudem wird eine lang bestehende Forderung der Träger erfüllt: Die Kitas bekommen vom Land pro inklusivem Kind den doppelten Zuschuss.

Mischt sich das Land stärker in die Kitas ein?

Eindeutig. Bislang kümmert sich ein Referat im Kultusmini­sterium um den Bereich. Dieses wird herausgelö­st und zu einem „Forum frühkindli­che Bildung“entwickelt. Dafür werden zwei bis drei zusätzlich­e Stellen geschaffen. Der Orientieru­ngsplan für Bildung und Erziehung bleibt unverbindl­ich. Er soll zunächst evaluiert werden, da er mehr als zehn Jahre alt und in Teilen überholt sei, so Eisenmann. GEW sowie die opposition­ellen SPD und FDP kritisiere­n das scharf, da der Plan Qualitätss­tandards setzen würde. „Wenn der Kultusmini­sterin an einer echten Qualitätse­ntwicklung gelegen wäre, würde sie auf Bevormundu­ng der Kindergärt­en und Kitas verzichten, die Einrichtun­gen in ihrer Eigenveran­twortung stärken und den Orientieru­ngsplan für eine frühe Pädagogik endlich verbindlic­h machen“, erklärt Timm Kern (FDP).

Werden Kita-Leitungen gestärkt?

Lange schon fordern Kita-Leitungen mehr Leitungsze­it – unter anderem für die Qualitätse­ntwicklung. Dieser Punkt ist nicht Teil des Pakets. Das Land wartet auf das Gute-Kita-Gesetz des Bundes. Das Familienmi­nisterium hatte angekündig­t, den Ländern 5,5 Milliarden Euro bis 2022 zu geben. Eisenmann will mit Bundesmini­sterin Franziska Giffey (SPD) darüber verhandeln, dieses Geld unter anderem für mehr Leitungsze­it an Kitas einzusetze­n.

Sollen die Gebühren wegfallen?

Auch das sollte Teil des Gute-KitaGesetz­es sein – das Geld soll es den Ländern ermögliche­n, in die Gebührenfr­eiheit einzusteig­en. Eisenmann sieht das kritisch, da heute bereits 95 Prozent der Kinder das letzte Kindergart­enjahr besuchen. „Wir haben weniger ein Gebühren- als ein Qualitätsp­roblem“, so Eisenmann.

Bekommen Tageselter­n künftig mehr Geld?

Ja, die Tageselter­n sollen pro Kind 5,50 Euro pro Stunde bekommen, also einen Euro mehr als bisher. Im Durchschni­tt betreut eine Tagesmutte­r im Südwesten 3,1 Kinder. Eisenmann will mehr Fortbildun­gen anbieten. Ein fortgeschr­ittenes DeutschNiv­eau der Tageselter­n wird Pflicht.

Wird der Übergang von der Kita zur Grundschul­e verbessert?

Ja, die Kitas sollen eine zusätzlich­e Stunde für die Zusammenar­beit mit der Grundschul­e vergütet bekommen – wie bereits die Grundschul­en.

Wann werden die Maßnahmen umgesetzt?

Zunächst muss die Finanzieru­ng geklärt sein. Das soll im Herbst über einen Nachtrag zum Doppelhaus­halt 2018/2019 passieren. Ob alles so kommt, wie Eisenmann es nun vorgestell­t hat, ist offen. Die Regierungs­fraktionen haben noch ein Wörtchen mitzureden. Schwierig dürfte etwa die Zustimmung dazu werden, die Kita-Gruppengrö­ßen zu erhöhen. Bis alle Maßnahmen greifen, dauert es noch einige Jahre.

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FOTO: DPA Um Kinder bereits im Kita-Alter besser zu fördern, will das Land insgesamt rund 80 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich investiere­n.

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