Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Umjubeltes Debüt
Piotr Beczala glänzt in einem einfallslosen „Lohengrin“
BAYREUTH - Bayreuth setzt gern auf große Namen. Musiktheatererfahrung wird nicht vorausgesetzt. Das zeitigt gelegentlich überraschende Ergebnisse, funktioniert aber nicht immer. Leider auch nicht beim neuen „Lohengrin“. Der Maler Neo Rauch und seine Frau, die Malerin Rosa Loy, haben Bühne und Kostüme entworfen. Ihre Prominenz hat die Regie so eingeschüchtert, dass nur altbackenes Rampentheater vor mehr oder weniger eindrucksvollen Kulissen herauskommt.
Neo Rauch und Rosa Loy schreiben im Programmheft, dass sie sich seit sechs Jahren mit dem Lohengrin-Stoff auseinandersetzen. Auf dem „Gleitfilm der Wagnerschen Musik“seien Bilder entstanden – von viel Delfter Kachelblau, von rostigen Strommasten, von einer alten Trafostation.
Und weil der Stoff „hochenergetische Sachverhalte“verhandele, steht nun ein solches Industriedenkmal vor dramatisch dunkelblauem Himmel-Hintergrund auf der Bühne. Hier im Trafohäuschen tritt Lohengrin, der Elsa von Brabant vor der Verurteilung wegen Brudermordes retten wird, zum ersten Mal in Erscheinung.
Zwei Akte später befinden sich Lohengrin und Elsa im Innern der Station. Hier ist ihr Brautgemach bereitet – eine spärlich möblierte, orangefarben getünchte Kammer mit Ehebett und überdimensioniertem Isolator. An den fesselt Lohengrin seine frisch gebackene Gattin. Elsa konnte sich die verbotenen Fragen nicht verkneifen: „Woher die Fahrt? Wie deine Art?“Eine Frau muss gehorchen. Tut sie aber nicht. Elsa wird hier als frühe Emanze geschildert, die sich dem Frageverbot widersetzt und Erkenntnis gegen Glauben fordert. Sie ist die Heldin.
Und Lohengrin? Er scheint geradewegs einem der Bilder von Neo Rauch entsprungen: eine dieser realistisch-gezeichneten Figuren in Arbeitskleidung, ein Techniker, der unter seinem blauen Overall ein weißes Hemd und Krawatte trägt. Und blaue Gummihandschuhe, die er nie ablegt. Auch in der Hochzeitsnacht nicht. Wir ahnen: Über dieser Ehe liegt kein Segen.
„Lohengrin“als Emanzipationsdrama und Beitrag zur MeToo-Debatte – okay. Aber diese Inszenierung gibt viele Rätsel auf. Nach der Aufführung sieht man die Besucher diskutieren: Wer ist der grüne Mann am Ende? Gottfried, Elsas Bruder? Aber warum sieht er aus wie Karl Marx? Was wollen uns die zarten Insektenflügelchen sagen, mit denen die Herrschenden ausgestattet sind? König Heinrich als Herr der Fliegen?
Der Ratten mit Wehmut gedacht
Oper mit Tieren – warum nicht, wenn es so schlüssig gemacht ist, wie weiland von Hans Neuenfels bei der letzten „Lohengrin“-Produktion in Bayreuth. Seine Idee, das Volk von Brabant in Rattenkostüme zu stecken, war bei der Premiere 2010 wild ausgebuht worden. Aber in den dreieinhalb Stunden der neuen Inszenierung kommt Wehmut auf. Denn Neuenfels ist ein erfahrener Musiktheater-Handwerker. Wie er damals die Figuren führte, den Chor bewegte und die Szenerie wechselte, das war alles hochprofessionell. Und spannend. Die neue Inszenierung sieht da alt aus. Der junge Regisseur Yuval Sharon weiß mit den Personen nichts anzufangen. Er lässt die Sänger völlig allein, die verfallen in die altmodischste Rampensingerei. Der Chor agiert gestisch unbeholfen, unfreiwillig komisch.
Musikalisch ist wenig zu beanstanden. Dass Anja Harteros als Elsa vielleicht ein wenig zu dramatisch klingt und Waltraud Meier als Ortrud zu sehr forciert wie ihr Partner Tomasz Konieczny als Telramund. Herrlich aber sind die dunklen Stimmen: Georg Zeppenfeld in der Rolle des Königs Heinrich und Egil Silins als Heerrufer. Und dann Christian Thielemann, der Lieblingsdirigent des Bayreuther Stammpublikums. Tatsächlich animiert er das Festspielorchester zu Höchstleistungen: träumerisch-sanft erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, nachgerade operettenhaft-spritzig das Vorspiel zum Hochzeitsfest im dritten Akt. Schon nach dem ersten Aufzug brach ein Jubelsturm aus, als sich das Ensemble vor dem Vorhang zeigte. Das war noch steigerungsfähig. Waltraud Meier, die nach 18 Jahren Bayreuth-Abstinenz auf den Hügel zurückgekehrt war, wurde frenetisch gefeiert, gewiss auch für ihre künstlerische Lebensleistung. Und auch die neuen Stars, Anja Harteros und Piotr Beczala, genossen sichtlich den Applaus und die Bravorufe für ihr Bayreuth-Debüt.