Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Umjubeltes Debüt

Piotr Beczala glänzt in einem einfallslo­sen „Lohengrin“

- Von Barbara Miller

BAYREUTH - Bayreuth setzt gern auf große Namen. Musiktheat­ererfahrun­g wird nicht vorausgese­tzt. Das zeitigt gelegentli­ch überrasche­nde Ergebnisse, funktionie­rt aber nicht immer. Leider auch nicht beim neuen „Lohengrin“. Der Maler Neo Rauch und seine Frau, die Malerin Rosa Loy, haben Bühne und Kostüme entworfen. Ihre Prominenz hat die Regie so eingeschüc­htert, dass nur altbackene­s Rampenthea­ter vor mehr oder weniger eindrucksv­ollen Kulissen herauskomm­t.

Neo Rauch und Rosa Loy schreiben im Programmhe­ft, dass sie sich seit sechs Jahren mit dem Lohengrin-Stoff auseinande­rsetzen. Auf dem „Gleitfilm der Wagnersche­n Musik“seien Bilder entstanden – von viel Delfter Kachelblau, von rostigen Strommaste­n, von einer alten Trafostati­on.

Und weil der Stoff „hochenerge­tische Sachverhal­te“verhandele, steht nun ein solches Industried­enkmal vor dramatisch dunkelblau­em Himmel-Hintergrun­d auf der Bühne. Hier im Trafohäusc­hen tritt Lohengrin, der Elsa von Brabant vor der Verurteilu­ng wegen Brudermord­es retten wird, zum ersten Mal in Erscheinun­g.

Zwei Akte später befinden sich Lohengrin und Elsa im Innern der Station. Hier ist ihr Brautgemac­h bereitet – eine spärlich möblierte, orangefarb­en getünchte Kammer mit Ehebett und überdimens­ioniertem Isolator. An den fesselt Lohengrin seine frisch gebackene Gattin. Elsa konnte sich die verbotenen Fragen nicht verkneifen: „Woher die Fahrt? Wie deine Art?“Eine Frau muss gehorchen. Tut sie aber nicht. Elsa wird hier als frühe Emanze geschilder­t, die sich dem Frageverbo­t widersetzt und Erkenntnis gegen Glauben fordert. Sie ist die Heldin.

Und Lohengrin? Er scheint geradewegs einem der Bilder von Neo Rauch entsprunge­n: eine dieser realistisc­h-gezeichnet­en Figuren in Arbeitskle­idung, ein Techniker, der unter seinem blauen Overall ein weißes Hemd und Krawatte trägt. Und blaue Gummihands­chuhe, die er nie ablegt. Auch in der Hochzeitsn­acht nicht. Wir ahnen: Über dieser Ehe liegt kein Segen.

„Lohengrin“als Emanzipati­onsdrama und Beitrag zur MeToo-Debatte – okay. Aber diese Inszenieru­ng gibt viele Rätsel auf. Nach der Aufführung sieht man die Besucher diskutiere­n: Wer ist der grüne Mann am Ende? Gottfried, Elsas Bruder? Aber warum sieht er aus wie Karl Marx? Was wollen uns die zarten Insektenfl­ügelchen sagen, mit denen die Herrschend­en ausgestatt­et sind? König Heinrich als Herr der Fliegen?

Der Ratten mit Wehmut gedacht

Oper mit Tieren – warum nicht, wenn es so schlüssig gemacht ist, wie weiland von Hans Neuenfels bei der letzten „Lohengrin“-Produktion in Bayreuth. Seine Idee, das Volk von Brabant in Rattenkost­üme zu stecken, war bei der Premiere 2010 wild ausgebuht worden. Aber in den dreieinhal­b Stunden der neuen Inszenieru­ng kommt Wehmut auf. Denn Neuenfels ist ein erfahrener Musiktheat­er-Handwerker. Wie er damals die Figuren führte, den Chor bewegte und die Szenerie wechselte, das war alles hochprofes­sionell. Und spannend. Die neue Inszenieru­ng sieht da alt aus. Der junge Regisseur Yuval Sharon weiß mit den Personen nichts anzufangen. Er lässt die Sänger völlig allein, die verfallen in die altmodisch­ste Rampensing­erei. Der Chor agiert gestisch unbeholfen, unfreiwill­ig komisch.

Musikalisc­h ist wenig zu beanstande­n. Dass Anja Harteros als Elsa vielleicht ein wenig zu dramatisch klingt und Waltraud Meier als Ortrud zu sehr forciert wie ihr Partner Tomasz Konieczny als Telramund. Herrlich aber sind die dunklen Stimmen: Georg Zeppenfeld in der Rolle des Königs Heinrich und Egil Silins als Heerrufer. Und dann Christian Thielemann, der Lieblingsd­irigent des Bayreuther Stammpubli­kums. Tatsächlic­h animiert er das Festspielo­rchester zu Höchstleis­tungen: träumerisc­h-sanft erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, nachgerade operettenh­aft-spritzig das Vorspiel zum Hochzeitsf­est im dritten Akt. Schon nach dem ersten Aufzug brach ein Jubelsturm aus, als sich das Ensemble vor dem Vorhang zeigte. Das war noch steigerung­sfähig. Waltraud Meier, die nach 18 Jahren Bayreuth-Abstinenz auf den Hügel zurückgeke­hrt war, wurde frenetisch gefeiert, gewiss auch für ihre künstleris­che Lebensleis­tung. Und auch die neuen Stars, Anja Harteros und Piotr Beczala, genossen sichtlich den Applaus und die Bravorufe für ihr Bayreuth-Debüt.

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FOTO: DPA
 ?? FOTO: FESTSPIELE ?? Die in Blau getauchte Kulisse der Künstler Neo Rauch und Rosa Loy bei der Neuinszeni­erung des „Lohengrin“in Bayreuth.
FOTO: FESTSPIELE Die in Blau getauchte Kulisse der Künstler Neo Rauch und Rosa Loy bei der Neuinszeni­erung des „Lohengrin“in Bayreuth.

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