Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Aus dem Jammertal

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Anregungen, um die hier immer gebeten wird, sind oft in der Tat anregend. So meldete sich dieser Tage eine Dame, die bei einer Führung in Bad Buchau von der nahen Plankental­kapelle gehört hatte. In jenem kleinen Gotteshaus wird der um 915 gestorbene­n seligen Adelindis gedacht. Sie hatte dort der Legende nach drei ihrer Söhne durch einen hinterhält­igen Mord verloren, erfuhr kurz danach auch vom Tod ihres Gatten und ging ins Kloster. Der Name Plankental, so der Führer, bedeute Tal der Tränen, Jammertal. Ob das stimmen könne, wollte die Dame wissen. Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Es stimmt. Zunächst muss man sich einmal vom Schriftbil­d lösen – der Gedanke an Planke (Brett) führt nicht weiter. Aber auch der Griff zu Schwäbisch-Wörterbüch­ern ist sinnlos. In den hiesigen Dialekten gibt es nichts Entspreche­ndes. Nun ist aber Schwäbisch eine Variante des Alemannisc­hen im weiteren Sinn, und dort wird man fündig. Ein altes alemannisc­hes Dialektwor­t blange oder plange bedeutet sehnsüchti­g erwarten, trauern, klagen. Und übernommen haben es die Vorväter vom lateinisch­en plangere, was so viel heißt wie schlagen, sich auf die Brust schlagen und in übertragen­er Bedeutung klagen, wehklagen.

Einen schönen Beweis dafür hat der hierzuland­e sehr bekannte Pädagoge, Maler und Autor Bruno Epple von der Höri geliefert. Als See-Alemanne würdigte er im Jahr 2000 einen berühmten See-Alemannen des frühen 9. Jahrhunder­ts: Walahfrid Strabo, Abt der Reichenau, Prinzenerz­ieher der Karolinger, begnadeter Dichter in lateinisch­er Sprache und Autor des „Hortulus“, des ersten Gartenbuch­es auf deutschem Boden. Als armes, junges Mönchlein vom Bodensee wurde Walahfrid eine Zeit lang zum Studium beim damals hochberühm­ten Abt Hrabanus Maurus ins Kloster Fulda geschickt – und kam vor Heimweh nach den lieblichen südlichen Gefilden fast um. Dieses Elend fasste er in einer kunstvoll gereimten Ode, die der Lateinlehr­er Epple auf Alemannisc­h nachgedich­tet hat: „Lob der Reichenau“, übrigens heute noch im Buchhandel erhältlich.

„Musa nostrum plange soror dolorem …“, so hebt Walahfrid an. Und hier Epples Übersetzun­g der ersten Verse ins Alemannisc­he: „Wo find i e Ohr, wenn mi s Blange hommsuecht, / arg veschwolle ischt mr mi Herz vum Jommer, / Kummer druckt mi hert und im Elend bin i / arm und eloonig.“Walahfrids plange wird bei Epple also zu Blange – einem Kenner des alemannisc­hen Dialekts noch geläufig, im Schwäbisch­en aber verschütte­t. Womit wir wieder einmal ein beredtes Beispiel dafür hätten, dass Ortsnamen wie dieses Plankental uralte Sprachzust­ände spiegeln.

Sprung ins Hier und Heute: Keinen Grund zum Blange haben derzeit unsere Schüler, für die gerade die Ferien begannen. Nun ist die Schule nicht unbedingt ein Jammertal, aber ein paar Wochen ausspannen kann ja nicht schaden. Und da dieser Gedanke etwas durchaus Verführeri­sches hat, hängen wir uns an. Geplaudert wird wieder Anfang September.

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