Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Erinnerung­szeichen statt Stolperste­ine

München sucht und findet seinen eigenen Weg im Umgang mit der Erinnerung an NS-Opfer

- Von Cordula Dieckmann

MÜNCHEN (dpa) - Sie heißen Stolperste­ine und sollen Passanten auf das Schicksal von NS-Opfern aufmerksam machen: goldene Quadrate auf dem Gehweg. In mehr als 1000 Orten sind sie zu finden. Nur nicht in München. Dort gab es immer wieder Kritik an den in den Weg eingelasse­nen Gedenkstei­nen. München hat nun eine andere Form des Gedenkens gefunden.

Erinnerung­szeichen mit Fotos und knappen Lebensdate­n vor Wohnhäuser­n machen jetzt auf das Schicksal der Menschen aufmerksam, die früher dort gelebt haben – bevor sie von den Nazis aus ihrem Alltag gerissen wurden. Die ersten zwei Stelen und eine Wandtafel wurden am Donnerstag von Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) übergeben.

„Mit den neuen Erinnerung­szeichen beschreite­t München einen eigenen Weg des würdigen und nachhaltig­en Gedenkens“, sagte Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern. Sie hatte die Stolperste­ine vehement abgelehnt, weil sie das Andenken der Opfer durch das Verlegen auf der Straße in den Schmutz gezogen sah. Und weil sie als Kind den NS-Terror in München miterlebt hatte: „Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Menschen, auf die man schon auf dem Boden liegend immer weiter eintrat und die mit schweren ledernen, stahlbekap­pten Stiefeln in die Transporte­r getreten wurden.“

Die ersten gold-silberfarb­enen Gedenkzeic­hen erinnern an den Philologen Friedrich Crusius, die Kunstgaler­isten Paula und Siegfried Jordan sowie an Franz Landauer und seine Frau Tilly. Landauer ist Bruder des berühmten FC-Bayern-Präsidente­n Kurt Landauer. Der Fußballfun­ktionär emigrierte 1939 in die Schweiz, sein Bruder und dessen Frau sowie seine anderen drei Geschwiste­r wurden ermordet. Crusius war psychisch krank und wurde 1941 umgebracht. Das jüdische Ehepaar Jordan wurde 1941 deportiert und erschossen.

Bis zum 5. August sollen noch zwei Stelen und eine Tafel folgen, für die Widerstand­skämpfer Therese Kühner, Ludwig Holleis und Walter Klingenbec­k. Weitere Gedenkzeic­hen können bei der Stadt angeregt werden, die für die kommenden Jahre 150 000 Euro bereitgest­ellt hat.

Um die Form des Gedenkens war jahrelang gerungen worden. Die einen wollten Stolperste­ine für ihre Angehörige­n verlegen, so wie dies europaweit in mehr als 1000 Orten möglich ist. Kritiker wie Knobloch empfanden dies als unwürdig. Der Stadtrat lehnte die Stolperste­ine deshalb im Juli 2015 ab – zu Recht, wie der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of im Dezember 2017 entschied. Trotzdem gibt es auch in München einige der Steine. Der Verein „Stolperste­ine für München“verlegte sie kurzerhand auf privatem Grund.

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FOTO: MATTHIAS BALK Dieter Reiter (SPD), Oberbürger­meister von München, bei der Montage der ersten Erinnerung­stafeln für die Opfer des Nationalso­zialismus in München.

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