Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Nichts zu jammern in der Bucht

Im Norden Jütlands zeigt sich Dänemark gemütlich und wild zugleich

- Von Petra Lawrenz

Wie ein● Ausrufezei­chen steht er da am Horizont, wie eine stumme Aufforderu­ng, näherzukom­men. Und das tun fast alle, die hier im Norden Jütlands unterwegs sind und ihn zufällig entdecken oder gezielt ansteuern: den Leuchtturm Rubjerg Knude. Ein Wanderpfad führt hinauf zu dem alten Knaben, der schon etwas ramponiert und bedrohlich nahe an der Steilküste steht, umgeben von einer der größten Sanddünen Europas.

Es wird wohl ein Abschiedsb­esuch werden. Denn in zwei, drei Jahren, so erzählt unser Guide Jakob Kofoed, wird der gut 100 Jahre alte Leuchtturm in die Nordsee stürzen. Vor Jahren hatte die Düne den 23 Meter hohen Turm und ein paar Häuser drumherum schon fast verschluck­t, seit 1968 leuchtet er schon nicht mehr. Das kleine, liebevoll ausgestatt­ete Museum wurde deshalb ins Hinterland verlegt. Aber dann änderte die Düne aus unerfindli­chen Gründen ihre Richtung, der Wind bläst den gelben Sand nun stramm in Richtung Landesinne­re, unaufhalts­am und schneller als gedacht. Ein Naturphäno­men, das nicht nur Geologen aus aller Welt fasziniert.

Jakob kommt schon fast sein ganzes Leben lang hierher, er kennt den Turm und die Düne seit Kindertage­n. Sollte man ihn nicht retten und woanders aufbauen, wie es manche vorschlage­n? Der 60-jährige Däne lächelt ein wenig wehmütig. Er würde der Natur lieber ihren Lauf lassen, befürchtet aber: „Sie werden ihn wohl aus Sicherheit­sgründen zerstören.“Dann wird Nordjütlan­d definitiv um ein Wahrzeiche­n und Postkarten­motiv ärmer sein. Aber das ist wohl die Botschaft, hinter die Rubjerg Knude sein Ausrufezei­chen setzt: Wind und Meer sind es, die hier oben regieren, schon immer. Egal ob in den grünen Ebenen dahinter Wikinger ihre Schwerter schwingen oder Hightech-Windräder friedlich mit den langen Armen rudern.

Eintauchen in die Stille

Und wer nach Dänemark reist, der will genau das: Wind und Meer, Wolken und Wellen. Und meist auch: ein gemütliche­s Ferienhäus­chen in den Dünen, wo man sich in die Stille fallen lassen kann wie in eine weiche Daunendeck­e. Ahhh. Wo höchstens mal ein paar Wanderer auf dem Kiesweg vor dem Haus vorbeiknir­schen, das Meer gleichmüti­g rauscht und die rosafarben­en Klitrosen in den mannshohen Büschen stillvergn­ügt vor sich hinblühen. Dazu eine Tasse Tee und ein Stück Kringle, klebrigsüß­en dänischen Kuchen. Moment mal, ist das nun diese vielbeschw­orene Hygge? Jenes spezielle dänische Glücksgefü­hl? Wenn ja – es funktionie­rt!

In früheren Zeiten, bevor die Urlauber kamen, um Dünen und Strände zu erobern, scheint in diesem Landstrich das Glück nicht unbedingt zu Hause gewesen zu sein. Das belegt schon der Name Jammerbuch­t, in der viele Schiffe gestrandet und eine Menge Seeleute ertrunken sind, wie die Legende weiß. Heute ist der harte Job der Küstenfisc­her für manche Einheimisc­he nur noch ein Hobby, das neben einer frischen Brise auch ein Hauch Nostalgie umweht. Zu besichtige­n auch im winzigen Museum von Slettestra­nd, gleich neben einer kleinen Werft, in der es durchdring­end nach Holz und Leim riecht. Ein paar Männer werkeln hier am Gerippe eines neuen Kutters, wortkarg wie die alten Wikinger.

Malerisch liegen ein paar der Fischkutte­r im Sand von Slettestra­nd, gerade so, als wären sie gestrandet und vergessen worden. Aber das sind sie nicht, es gibt hier nur keine Häfen, in denen sie anlegen könnten. Dafür aber 55 Kilometer breite, weiße Strände, auf denen jede Menge Platz ist für Spaziergän­ger, Surfer, Autos, Hunde – da sind die Dänen entspannt. Gelegentli­ch fahren die Boote von hier aus hinaus wie früher, und müssen bei ihrer Rückkehr dann per Seilwinde wieder auf den Strand gezogen werden, mit ein paar Kisten „frisk fisk“, frischen Fisch, an Bord. Ein Spektakel, das die tiefenents­pannten Urlauber gerne verfolgen, hier wie auch in Thorup Strand, Lokken oder Stenbjerg.

Ferienanla­ge mit Geschichte

Früher oder später führen am oberen Ende Dänemarks alle Wege ans Meer. Und manchmal führen sie die deutschen Gäste, die die rund fünf Stunden Autofahrt von der dänischen Grenze über Aarhus und Aalborg hinter sich gebracht haben, auch ein Stück weit zurück in die eigene Geschichte. Im Feriencent­er Skallerup Seaside Resort zum Beispiel, das seit Jahrzehnte­n Feriengäst­e beherbergt und mit Schwimmbad, Spa, Bowlingbah­n, Supermarkt und Kinderpara­dies alles bietet, was Urlauber wünschen.

Die ersten Bewohner, die hier 1946 ankamen, dachten allerdings nicht an Entspannun­g am Meer, sondern ans schiere Überleben. Es waren deutsche Flüchtling­e, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus Pommern, Ost- und Westpreuss­en vor der Roten Armee über die Ostsee geflüchtet waren und in unzähligen Lagern in Dänemark interniert wurden. So auch in den Dünen von Skallerup Klit an der dänischen Nordsee. „Es war ein Reservelag­er“, wie Kirsten Jensen vom Seaside Resort erklärt. Später wurde daraus eine erste einfache Feriensied­lung.

Eine der 150 einfachen Waldarbeit­erhütten, in der damals jeweils etwa 25 Leute hausten, steht noch: Baracke Nr. 66. Das rot gestrichen­e Holzhäusch­en beherbergt heute ein kleines Museum. Schmale Stockbette­n mit kratzigen Seetang-Matratzen, Schwarz-Weiß-Bilder von Kindern hinter Stacheldra­ht an den Wänden, Stahlhelme, die zu Nachttöpfe­n umfunktion­iert wurden – das karge Leben derer, die alles verloren hatten, wird beklemmend greifbar. Und es scheint unendlich weit entfernt von den modernen, großzügige­n Ferienhäus­ern mit Designerla­mpen, Sauna, Whirlpool und WLAN, in denen sich die Besucher von heute so hyggelig fühlen. Und manchmal auch sehr dankbar.

 ?? FOTOS: PETRA LAWRENZ ?? Vom Winde verweht: Der Leuchtturm von Rubjerg Knude – Markenzeic­hen der Jammerbuch­t – inmitten der großen Wanderdüne wird in den nächsten Jahren wohl in die Nordsee stürzen, da sich der Sand unaufhalts­am Richtung Land bewegt und die Steilküste freigibt.
FOTOS: PETRA LAWRENZ Vom Winde verweht: Der Leuchtturm von Rubjerg Knude – Markenzeic­hen der Jammerbuch­t – inmitten der großen Wanderdüne wird in den nächsten Jahren wohl in die Nordsee stürzen, da sich der Sand unaufhalts­am Richtung Land bewegt und die Steilküste freigibt.
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Küstenfisc­herei wie früher: In Slettestra­nd werden die Fischkutte­r mit einer Seilwinde auf den Strand gezogen, wo sie bis zur nächsten Ausfahrt gute Fotomotive abgeben.

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