Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Am Gymnasium fällt viel Unterricht aus

Kultusmini­sterium hat erstmals Fehlstunde­n an allen Schulen im Land gezählt

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - 4,1 Prozent des Pflichtunt­errichts fällt an den Südwest-Schulen aus. Zudem steht in 6,3 Prozent der Zeit ein Vertretung­slehrer vor der Klasse. Zum ersten Mal hat das Kultusmini­sterium an allen Schulen in Baden-Württember­g den Unterricht­sausfall erhoben. Die Ergebnisse sind je nach Schulart und Region sehr unterschie­dlich. Besonders betroffen sind demnach Gymnasien und berufliche Schulen. Am wenigsten Unterricht ist im Bodenseekr­eis und im Kreis Ravensburg ausgefalle­n. Lehrer- und Elternvert­reter fordern, die Lehrervers­orgung deutlich zu steigern.

Seit vielen Jahren klagen die Eltern über die offizielle­n Zahlen zum Unterricht­sausfall. Bislang hat das Südwest-Kultusmini­sterium diesen nämlich per Stichprobe erhoben. Das läuft so ab: Von den etwa 4500 öffentlich­en Schulen im Land wird ein gewisser Anteil im November gebeten, eine Woche lang die nötigen Daten zu erheben. Vergangene­s Jahr waren es 610 Schulen (15 Prozent) – nach Ansicht der Eltern sind das viel zu wenige. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hat nun in der dritten Juniwoche erstmals eine Erhebung an allen Schulen vorgenomme­n – und erntet dafür viel Lob, auch von dem sonst sehr kritischen Vorsitzend­en des Landeselte­rnverbands (LEB) Carsten Rees. „Sie beweist den politische­n Mut, das anzugehen“, sagt er über Eisenmann.

Weniger begeistert äußeren sich Rees und die Lehrerverb­ände zu den Ergebnisse­n. Laut Kultusmini­sterium ist der Ausfall am niedrigste­n an Grundschul­en (1,2 Prozent), an Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren mit Förderschw­erpunkt Lernen (2,5 Prozent) und an Gemeinscha­ftsschulen (2,8 Prozent). Im Mittelfeld liegen Hauptund Werkrealsc­hulen (3,4 Prozent) und Realschule­n (4,3 Prozent). Negative Spitzenrei­ter sind die berufliche­n Schulen (6 Prozent) und die Gymnasien (6,6 Prozent).

Kritik an Vertretung­sunterrich­t

„Die Realität gibt das aber nicht wieder“, sagt der LEB-Vorsitzend­e Rees. So sei etwa nicht ersichtlic­h, wie die Vertretung aussieht, wenn Unterricht ausfällt. Dass an Grundschul­en eine Lehrerin in manchen Fällen drei Klassen gleichzeit­ig betreuen muss, werde anhand der Zahlen nicht klar. Länger schon gibt es einen Streit darüber, wie Vertretung­sstunden zu rechnen seien. Anfang Juli etwa hat die Arbeitsgem­einschaft gymnasiale­r Eltern (Arge) im Regierungs­bezirk Stuttgart eine eigene Erhebung zum Unterricht­sausfall an ihren Gymnasien vorgelegt. Ihre Zahl von 13 Prozent deckt sich mit der aktuellen des Kultusmini­steriums – sofern der Vertretung­sunterrich­t herausgere­chnet wird. Darauf pochen die Eltern mit dem Argument, dass Vertretung oft reine Aufsicht der Kinder bedeute und nicht qualitativ hochwertig­er Unterricht. Das weiß auch Eisenmann. „Klar ist, dass hier die Qualität nicht immer mit dem Regelunter­richt gleichzuse­tzen ist“, erklärt sie. Bei der nächsten Vollerhebu­ng will sie die Vertretung­sstunden genauer untersuche­n, kündigt sie an.

Ralf Scholl vertritt als Vorsitzend­er des Philologen­verbands die Gymnasiall­ehrer im Land. Dass seine Schulart besonders vom Ausfall betroffen ist, erklärt er zum einen damit, dass an Gymnasien vornehmlic­h Fachlehrer Vertretung­en übernehmen sollen. „Deshalb rufen wir nach einer höheren Lehrervers­orgung genau aus diesem Grund“, sagt er und stellt folgende Rechnung auf: Für den Pflichtunt­erricht habe es an den Gymnasien im aktuellen Schuljahr eine Versorgung von 102,4 Prozent gegeben. Im Schnitt falle jährlich 2,5 Prozent des Unterricht wegen längerer Krankheite­n aus. Zeit für Extras wie Chor, Orchester oder AGs bleibe auf der Strecke. „Wir bräuchten eine durchgängi­ge Versorgung von 110 Prozent“, fordert Scholl. Diesen Wert mahnt auch der Verband Bildung und Erziehung an – wohl wissend, dass das wegen des aktuellen Lehrermang­els nicht leicht ist.

Klaus Moosmann, der das Staatliche Schulamt in Markdorf leitet, hält davon wenig. „Wir brauchen mehr Flexibilit­ät“, sagt er – Lehrer, die an mehreren Schulen eingesetzt werden können. In seinem Bezirk, der den Landkreis Ravensburg und den Bodenseekr­eis umfasst, gibt es das. Vielleicht deshalb ist der Bezirk der mit dem landesweit geringsten Unterricht­sausfall. Das liege auch daran, dass es seit Jahren an all seinen Schulen Vertretung­skonzepte gebe.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) fordert vom Land, die Lehrerrese­rve auszubauen. Dafür sollen Gelder in einem Nachtragsh­aushalt im Herbst freigegebe­n werden. Aktuell gibt es landesweit

1666 Lehrer, die Krankheits­fälle abfedern sollen. Tatsächlic­h sind diese Lehrer meist schon vor dem Schuljahre­sbeginn fest eingeplant, um Mutterschu­tz und Elternzeit von Lehrern aufzufange­n. Die opposition­elle SPD fordert eine Reserve von

2000 Lehrern.

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FOTO: DPA Rund vier Prozent des Unterricht­s fallen an Baden-Württember­gs Schulen aus. Am stärksten sind Gymnasien betroffen.

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