Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auf der Suche nach dem Schatten

Noch ist die Dürre im Süden nur eine Bedrohung, aber der Klimawande­l führt generell zu Änderungen in der Landwirtsc­haft

- Von Uwe Jauß

WANGEN - Es ist gerade mal 8.30 Uhr, aber die Sonne brennt bereits gnadenlos vom Himmel. Auf der Weide des Renz’schen Bauernhofe­s in der Hügellands­chaft des württember­gischen Allgäus bei der Stadt Wangen haben sich die Kühe in den Schatten der Bäume zurückgezo­gen. Gedrängt stehen sie unter den Blätterdäc­hern. Gras abweiden lockt nicht mehr. „Das Vieh will jetzt rasch in den Stall, wo es kühler ist“, sagt Marcel Renz, der Hof-Chef mittleren Alters. Er öffnet den Zaun. Die Kühe streben sofort in den weiten Stall. „Das ist doch verständli­ch“, meint Renz. „Als Mensch bleibt man ja auch nicht in der Sonne stehen.“Wohl wahr. Hinzu kommt, dass der obere Weideteil ein bei Hitze unkommoder Südhang ist. Anders als an weniger exponierte­n Senken lässt sich dies inzwischen am Zustand des Grases sehen: Dürr wirkt es, teilweise fast verbrannt.

Örtlicher Regen wie am vergangene­n Wochenende kann bei solcher Wetterlage nichts mehr retten. Rund 75 Prozent weniger Heu als sonst üblich würden solche Ecken bringen, wenn jetzt gemäht würde, schätzt der Landwirt. Die seit März andauernde Großwetter­lage mit allgemein spärlichen Niederschl­ägen schlägt auch hier durch. „So eine Trockenhei­t habe ich noch nicht erlebt“, berichtet Renz. „Sollte die Hitze noch wochenlang andauern, kann es mit dem Futter von den Wiesen schon grenzwerti­g werden.“Aber, betont er: „Bisher geht es. Von Zuständen wie im Norden sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt.“

Probleme in Norddeutsc­hland

Schleswig-Holstein beispielsw­eise. Der dortige Landesbaue­rnverband berichtet, dass schon Vieh außerplanm­äßig zum Schlachter gebracht werden müsse. Der Grund: Auf den Wiesen wächst nicht mehr ausreichen­d Futter nach. Ein Zukaufen von Viehnahrun­g sei vielfach zu teuer – zumal die Preise wegen der Mangelsitu­ation anstiegen. Eine Entwicklun­g, die der schleswig-holsteinis­che Landwirtsc­haftsminis­ter Robert Habeck von den Grünen zum Anlass nahm, generell die Reduzierun­g der Tierbestän­de zu fordern.

Als weiteres Krisengebi­et gilt die Mark Brandenbur­g, wegen ihrer wasserdurc­hlässigen, sandigen Böden sowieso schnell von Dürre bedroht. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverb­andes, rechnet in solchen Gegenden beim Getreide mit 70 Prozent Ernteausfa­ll. Er fordert öffentlich­e Hilfen für die betroffene­n Landwirte. Im Vergleich dazu sind die baden-württember­gischen Interessen­vertreter der Bauernscha­ft in Stuttgart bisher entspannt. „Flächendec­kend sehen wir noch kein Problem“, sagt deren Sprecherin Ariane Amstutz. Nur punktuell gebe es bedenklich­e Entwicklun­gen – etwa im traditione­ll trockenen Taubergebi­et im Norden des Landes. Dort gebe es erste Futterschw­ierigkeite­n.

Kann sich der deutsche Süden also bisher glücklich schätzen? Jürgen Weishaupt, Geschäftsf­ührer des Hopfenpfla­nzerverban­des Tettnang, meint: „Ja, auch wenn kühleres Wetter und etwas Regen für den Hopfen vorteilhaf­t wären.“Martin Nüberlin, Vorsitzend­er der Erzeugerge­meinschaft Lindauer Obstbauern, stößt ins selbe Horn. Beide geben ihr Urteil vom Nordufer des Bodensees ab. Abseits dieser Einschätzu­ng hat auch das Schwabenme­er seine Probleme mit der Hitze und Trockenhei­t: der Wasserspie­gel

Der Wangener Landwirt Marcel Renz

ist beträchtli­ch gesunken. Für die Schifffahr­t gibt es erste Schwierigk­eiten. Die Hitze begünstigt zudem das Algenwachs­tum. Entspreche­nd seltsam riecht es in strömungsa­rmen Buchten.

Noch schwierige­r wird es südlich des Bodensees. Von Entspannth­eit findet sich kaum noch eine Spur. Im eidgenössi­schen Thurgau, gleich hinter der badischen Bodenseest­adt Konstanz gelegen, herrscht DürreAlarm. Die Kantonsbeh­örden haben schon vor Wochen verboten, aus Flüssen und Seen Wasser zu entnehmen. Bäche mussten abgefischt werden, um ein Verenden von Forellen und anderem schwimmend­en Getier zu verhindern. Thurgauer Bauern klagen über vertrockne­nde Äcker. In den Bergen Vorarlberg­s haben Hirten die ersten hochgelege­nen Almen vom Vieh geräumt. Das Gras ist verdorrt, die Tränken sind leer. Die Landesregi­erung spricht von einer „Ausnahmesi­tuation“. Wegen des ins Tal zurück transporti­erten Viehs könne es zu einem „eklatanten Futtermang­el“kommen.

Damit ist dort aber nicht die einzige Misere angesproch­en. Die Vorarlberg­er sind seit vier Monaten wegen „stark erhöhter Brandgefah­r“in ihren Bergwälder­n aufgeschre­ckt. Deutschers­eits hat man nachgezoge­n. Für den bayerische­n Landkreis Lindau ist vor Wochenfris­t die höchste Gefahrenst­ufe für Waldbrände ausgerufen worden. Extra beauftragt­e Flieger sollten nach verdächtig­em Rauch Ausschau halten.

Mittlere Gefahrenla­ge

In Baden-Württember­g gilt für diverse Landstrich­e eine mittlere Gefahrenla­ge. Das kann sich allerdings schnell ändern, wie zur Wochenmitt­e ein Reviergang von Förster Roland Teufel im Tettnanger Forst zeigte, einem Waldgebiet des Bodenseehi­nterlandes. „In einigen Ecken sind meine Stiefel noch feucht geworden. Eine Folge des Regens am Wochenende. An Südseiten mit starker Sonneneins­trahlung scheint hingegen selbst das Indische Springkrau­t zu verdorren. Da ist es dann schon kritisch“, berichtet der Förster.

Ihn und seine Berufskoll­egen treibt aber eine andere mögliche Folge von Dürre und Hitze fast noch mehr um. Es geht um einen gefürchtet­en Waldschädl­ing: „Wenn das Wetter so bleibt“, warnt Teufel, „kann es zur einer Population­sexplosion beim Borkenkäfe­r kommen.“Zwar sind diese kleinen Tierchen nichts Neues im Wald, in jüngerer Zeit aber droht fast schon ein Käferjahr nach dem anderen. Eine Folge des Klimawande­ls, sagen Forstexper­ten.

Der Wald wird sich verändern

Auf die Wetterentw­icklung wurde beim Waldbau recht früh reagiert. Monokultur­en gelten als Auslaufmod­ell. Ein Artenmix soll den Wald bei Dürre weniger anfällig für Schädlinge machen. Schwer wird es für den bisherigen Brotbaum der Holzwirtsc­haft, die flachwurze­lnde Fichte, für die Bevölkerun­g der klassische Tannenbaum. Der Forst setzt zumindest streckenwe­ise auf die Weißtanne als Ersatz. Sie profitiert von ihren tiefen Pfahlwurze­ln. „Jedenfalls ändert sich das über Generation­en gewohnte Waldbild“, heißt es aus dem bayerische­n Landwirtsc­haftsminis­terium in München.

Der Wald ist nicht das Einzige, was sich ändern dürfte, die gesamte Landwirtsc­haft dürfte betroffen sein. Annette Menzel, Professori­n für Ökoklimato­logie an der Technische­n Uni München, schreibt in einer Veröffentl­ichung, dass bis zum Ende des Jahrhunder­ts hierzuland­e Bedingunge­n herrschen könnten wie in der italienisc­hen Po-Ebene. Das baden-württember­gische Landwirtsc­haftsminis­terium weist zudem auf die Komplexitä­t der Lage hin: Auch mehr Starkregen und häufigere frühjährli­che Spätfröste müssten in Betracht gezogen werden. Speziell Obst- und Weinbauern dürften die letzten Apriltage 2017 in übler Erinnerung geblieben sein. Minustempe­raturen ruinierten einen Großteil der Ernte, nachdem warmes Wetter zuvor für eine frühe Blüte gesorgt hatte.

Alles sehr teuer

Der Schutz gegen Kälte ist heikel: Eine Beregnung zwecks Frostschut­z wäre eine Möglichkei­t, ebenso das Abdecken der Obstplanta­gen inklusive dem Aufstellen von Öfen. Alles sehr teuer. Das gilt im Übrigen auch für eine Bewässerun­g den Sommer über – sofern die betroffene­n Landwirte überhaupt Zugang zu ausreichen­d Wasser bekommen. Im Fall einer Dürre wäre dies fraglich, weshalb schon seit Längerem ein schleichen­der Prozess hin zu mehr trockenode­r hitzetoler­anteren

Pflanzen eingesetzt hat. „Den Fuji-Apfel gab es früher nur südlich der Alpen“, sagen Obstbauern vom Bodensee. Inzwischen gehört er zu ihrem Sortiment.

Beim Ackerbau registrier­en Experten den beginnende­n Anbau von Grannenwei­zen aus Südfrankre­ich – obwohl er einen geringeren Ertrag als deutscher Spitzenwei­zen bringt. Hirse oder noch mehr Mais gelten als zukunftstr­ächtig, weil wenig durstig. „Beim Grünland könnte stärker Gras

wie die Wiesenrisp­e zum Einsatz kommen. Solche trockenhei­tsverträgl­icheren Sorten haben aber einen Nachteil. Weil ihre Außenseite recht hart ist, mag das Vieh sie nicht gerne“, erklärt Professor Martin Elsäßer von der Uni Hohenheim. Er ist unter anderem Experte für Grünlandwi­rtschaft und Futterbau.

Franz Schweizer, Direktor des Landwirtsc­haftlichen Zentrums Baden-Württember­g im oberschwäb­ischen Aulendorf, weist auf die Bedeutung der Ställe fürs Vieh hin: „Sie sollten für Hitzeperio­den ausgelegt sein – luftig, kühler, außen hell, damit die Sonnenstra­hlen reflektier­t werden.“

Landwirt Marcel Renz, dessen Kühe sich bei Wangen im Allgäu so sehr in den Schatten gedrängt haben, denkt aufgrund solcher Erkenntnis­se schon länger an einen Stallneuba­u. „Wir müssen schließlic­h aufs Tierwohl achten. Das Vieh soll es ja gut haben“, sagt er. Sein Problem: Die Kosten für einen modernen Stall liegen nicht nur über einer Million Euro, ihm fehlt am gewünschte­n Standort momentan auch noch die behördlich­e Genehmigun­g.

Obstbauern vom Bodensee, die ihr Sortiment erweitert haben

„Von Zuständen wie im Norden sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt.“

„Den Fuji-Apfel gab es früher nur südlich der Alpen.“

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FOTO: UWE JAUSS Zu wenig Schattenpa­rkplätze: Auch die Kühe haben ihre liebe Not mit der Hitze.
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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Niedrigwas­ser am Bodensee: Der verschmutz­te Pegelstab im Lindauer Hafen ist nicht mehr ablesbar, denn diese Messwerte liegen normalerwe­ise weit unter dem Wasserspie­gel.
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FOTO: UWE JAUSS Ein neuer Stall wäre gut: Landwirt Marcel Renz.

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