Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hunderttau­sende beschweren sich über Hetze im Internet

Seit einem halben Jahr gilt das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz – Erste Konsequenz­en, aber die Kritik verstummt nicht

- Von Tobias Schmidt und Petra Sorge

BERLIN - Hunderttau­sende Beschwerde­n über Hetzbotsch­aften gegen Youtube, Twitter und Facebook: Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz (NetzDG), das vor einem halben Jahr in Kraft getreten ist, hat erste Konsequenz­en.

Ein erhebliche­r Teil der beanstande­ten Inhalte wurde von den Plattforme­n fristgerec­ht gelöscht. Strafen mussten diese bislang nicht zahlen – weil sie den Auflagen des Gesetzes Folge leisteten, beim Kampf gegen Online-Hetze nicht blockierte­n. Das belegen erste Berichte, die die Netzwerke am Freitag vorgelegt haben.

Ist das NetzDG, um das so heftig gerungen worden war, also ein Erfolg? Die Regierungs­parteien zeigen sich zufrieden. „Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz wirkt“, meint Tankred Schipanski (CDU), Netzpoliti­ker der Union im Bundestag. „Für ein Overblocki­ng gibt es meiner Ansicht nach bisher keine Anhaltspun­kte.“Overblocki­ng – das ist die Sperrung legaler Inhalte durch die Anbieter aus vorauseile­ndem Gehorsam, um Strafen vorzubeuge­n. Johannes Fechner, rechtspoli­tischer Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, zeigt sich überzeugt, dass das Gesetz „ein Schritt in die richtige Richtung war“.

Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD), in der vorherigen Regierung Bundesjust­izminister und damit für das Gesetz verantwort­lich, war damals kritisiert worden, er beschränke die Meinungsfr­eiheit. Die Kritik ist nicht verstummt. „Wir sehen uns in unseren Befürchtun­gen bestätigt“, sagt Christian Mihr, Geschäftsf­ührer der Organisati­on Reporter ohne Grenzen, am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Unternehme­n löschen offenbar völlig legale Inhalte.“

Bei Facebook wird wenig gemeldet

Bei Youtube wurden von Januar bis Ende Juni knapp 215 000 Inhalte gemeldet, 27 Prozent davon wurden geblockt. Twitter löschte rund jeden zehnten der 265 000 beanstande­ten Beiträge. Bei Facebook gingen lediglich 1704 Beschwerde­n ein – angesichts von 30 Millionen von Kunden in Deutschlan­d eine verschwind­end geringe Zahl. 362 Einträge (rund 20 Prozent) wurden von den Seiten genommen. Ein Erklärungs­versuch: Bei Facebook gibt es strenge Regeln, die verhindern, dass Inhalte hochgelade­n werden, die unter das NetzDG fallen könnten.

Die FDP, die sich von Beginn an gegen das Projekt gestellt hatte, bleibt bei ihrer Ablehnung. Die Zahlen zeigten: „Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz ist wirkungslo­s“, sagt der digitalpol­itische Sprecher der FDP-Bundestags­fraktion, Manuel Höferlin. „Gemessen am Ausmaß des Eingriffs in die Meinungsfr­eiheit ist dieses Gesetz rechtsstaa­tlich somit schlicht untragbar.“Auch Konstantin von Notz (Grüne) kritisiert das Gesetz als „Schnellsch­uss“.

Im Bundesjust­izminister­ium will man noch kein Urteil über das Gesetz fällen. „Deutlich wird: Es gibt Beschwerde­n – und zwar nicht wenige. Strafbarer Hass im Netz ist real, erfahrbar für so viele, die sich vernehmbar für Demokratie und Toleranz einsetzen“, sagt Staatssekr­etär Gerd Billen. Das Gesetz sieht vor, dass sich diejenigen, die sich bei den Netzwerken über Hassbotsch­aften beschweren, an das Bundesamt für Justiz wenden können, sollten die Unternehme­n nicht reagieren. Auf eine Beschwerde-Welle empörter Nutzer hatte sich die Bonner Behörde eingestell­t. Statt der erwarteten mehr als zehntausen­d Fälle gingen exakt 526 Anzeigen ein.

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FOTO: DPA Eine Aktivistin demonstrie­rt gegen Hassnachri­chten – in diesem Fall ganz analog.

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