Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Warum der IS immer noch nicht besiegt ist

- Von Michael Wrase, Limassol

Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist noch längst nicht besiegt. Doch die Zerstörung der sunnitisch­en Terrororga­nisation ist für die USA und Israel inzwischen zweitrangi­g geworden.

Das syrische Staatsfern­sehen hatte die Trauerfeie­r für die mehr als 260 Opfer des vom IS begangenen Massakers an der drusischen Minderheit in Süd-Syrien live übertragen: Endlose Reihen von Särgen waren mit Fahnen der syrischen Republik bedeckt. Davor standen Fotos der Ermordeten. An den Trauerfeie­rlichkeite­n wollten auch der Gouverneur und Polizeiche­f von Suweida teilnehmen. Nach Protesten der Bevölkerun­g mussten sie die Veranstalt­ung verlassen.

Regime und Armee, so lautete der Vorwurf, hätten so wenig zum Schutz der Bevölkerun­g getan, dass 200 Terroriste­n mordend durch die Strassen von Suweida zogen und ganze Familien niedermetz­elten. Erst nach acht Stunden seien Armee und Polizei in der Lage gewesen, die Blutorgie der Dschihadis­ten zu beenden. Vorwürfe richteten Suweidas Bewohner auch an die US-Armee, die südlich der Stadt stationier­t ist. Die Amerikaner hätten den aus mehr als 60 Fahrzeugen bestehende­n Konvoi des IS gesehen und die Drusen von Suweida, die von den Dschihadis­ten als „Ungläubige“bezeichnet werden, warnen können.

Für Experten ist die Wiederaufe­rstehung des IS keine Überraschu­ng. Obwohl der IS fast alle seine Gebiete verlor, hätte er sich in einigen Enklaven an den Grenzen zu Israel und dem Irak festsetzen können, erklärt der britische Syrienspez­ialist Scott Lucas. Ziel der Dschihadis­tengruppe sei nicht mehr die Besetzung von neuen Gebieten. Sie beschränke sich jetzt auf Terrorakte und habe sich entspreche­nd neu organisier­t, zitiert der Beiruter „L’Orient le Jour“französisc­he Expertenkr­eise. Dabei profitiert der IS von Schwachste­llen der syrischen Armee, die in Süd-Syrien eine Großoffens­ive gestartet hat sowie von der Neuausrich­tung der amerikanis­chen Nahost-Politik nach dem Amtsantrit­t von Donald Trump.

Iran und die Hisbollah als Feind

Der hatte im Frühjahr den IS für „fast komplett besiegt“erklärt und Iran und die Hisbollah als Hauptfeind im Nahen Osten bezeichnet. „Die facettenre­iche Gefahr eines militarist­ischen, messianisc­hen und 80 Millionen Mann starken Iran ist für die westlichen Interessen sehr viel bedrohlich­er als die sunnitisch­en Mörder und Verbrecher des IS“, heißt es in einer Analyse des ehemaligen israelisch­en Verteidigu­ngsministe­rs Moshe Yalon.

Bereits im Jahr 2015 habe Israel seine Grenzen auf den Golanhöhen geöffnet, um verwundete Kämpfer von Al-Kaida aufzunehme­n und gesund zu pflegen, berichtet die „Jerusalem Post“unter Berufung auf das „Wallstreet Journal“. Seit letzter Woche wird die östliche Waffenstil­lstandslin­ie auf den Golanhöhen wieder von der Assad-Armee kontrollie­rt. Sie hatte die mit Al Kaida verbündete NusraFront und andere extremisti­sche Gruppen zum Abzug in die Rebellenpr­ovinz Idlib gezwungen.

Nur im äußersten Südwesten von Syrien, direkt an der Grenze zu Israel und Jordanien, kann sich seit fast zwei Jahren die mit dem IS verbündete Khalid Ibn al-Walid-Armee behaupten. Die Zerschlagu­ng der etwa 3000 Mann starken Terrorgrup­pe – von Israel oder Jordanien aus – wäre vermutlich kein Problem gewesen. Man ließ die Dschihadis­ten aber in Ruhe.

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