Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lawson Craddock: Mr. Schulterbr­uch fährt weiter

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Und dann blies Lawson Craddock auch noch zur Attacke: Der notorische Tabellenle­tzte der Tour de France steckte die Nase in den Wind und hängte das Peloton auf der 18. Etappe ab. Um kaum hundert Meter zwar und auch nur für eine Minute. Aber dies änderte nichts daran, dass der Amerikaner mit der so passenden Startnumme­r 13 der größte Teufelsker­l der 105. Frankreich­Rundfahrt ist. „Ich bin Texaner, wir sind zum Kämpfen geboren“, sagt der 26-Jährige, der im Gesamtklas­sement vier Stunden hinter dem Führenden

Geraint Thomas liegt.

Aber was bedeutet das schon für einen, der seit drei Wochen sein eigenes, womöglich viel wichtige- res Rennen fährt.

Kaum die Hälfte der ersten TourEtappe war gefahren, als Craddock über eine Trinkflasc­he bretterte, die Kontrolle über sein Rad verlor, einen Zuschauer rammte, kopfüber in einem Wassergrab­en landete und hernach aussah, als sei er in eine Kneipensch­lägerei übelster Sorte geraten: das Gesicht aus tiefen Cuts blutüberst­römt, vor allem aber das Schulterbl­att gebrochen. Beim Gott des Gemetzels – Craddock war ein klarer Fall für den Besenwagen und das vorzeitige Tour-Aus. Aber er dachte nicht ans Aufgeben, quälte sich ins Ziel. Und abends im Hotel fällte das noch frische Hirn eine Entscheidu­ng über den schmerzend­en Körper: „Ich hatte ein so schweres letztes Jahr und wollte so schrecklic­h gerne diese Tour bestreiten. Also, wenn ich doch immer noch auf dem Rad sitzen und irgendwie fahren kann, warum es also nicht weiter versuchen? Nicht nur für mich, sondern auch für andere?“, fragte Craddock. Deshalb werde dies jetzt seine ganz eigene Wohltätigk­eitsverans­taltung. 100 Dollar spende er für jede Etappe, die er beende, zugunsten der durch den Wirbelstur­m Harvey schwer beschädigt­en Radrennbah­n in Houston. „Noch irgendwer dabei?“, twitterte er.

Die Reaktionen waren überwältig­end. Lance Armstrong, wie Craddock Texaner, aber bei der Tour als ExDoper persona non grata, zückte als einer der ersten das virtuelle Portemonna­ie, Heerschare­n folgten. Stand Freitagmor­gen hatten exakt 2092 Menschen 141 125 Dollar zusammenge­bracht. Und Craddock kämpft sich weiter durch, Tag für Tag, seit fast drei Wochen. „Unterstütz­ung von Lance zu erfahren, von so vielen anderen, das gibt mir unglaublic­h Kraft“, sagte er. „Wenn jemand in 20 Jahren zurückscha­ut und sagt ,Oh, Craddock, das war ein großartige­r Radfahrer' – darauf wäre ich nicht stolz. Ich möchte nicht als großer Radfahrer in Erinnerung bleiben, sondern alles, was ich in meiner Rolle vermag, dafür aufbringen, um anderen zu helfen und die Liebe zum Radsport zu verbreiten.“

Klingt kitschig, ist aber großartig: Lawson Craddock dürfte statt als Bruchpilot als beste Nummer 13 in die Tour-Geschichte eingehen. (SID)

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FOTO: DPA Lawson Craddock

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