Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vom Modezirkus in die Savanne

Ihre Karriere in der Modewelt hat Barbara Coccia aufgegeben – In Afrika hat die Schwäbin ein neues Lebensziel gefunden

- Von Win Schumacher

Was macht der Elefant vor der Bürotür? Eigentlich hat Barbara Coccia an diesem Morgen jede Menge in der Lodge zu tun, aber wenn ein Dickhäuter dieser Größenordn­ung sich in den Weg stellt, ist Hektik wirklich keine gute Idee. Mit einem halbwüchsi­gen Bullen ist ohnehin nicht zu spaßen. Dass sich an diesem Morgen auch gleich noch eine Baumschlan­ge ins Büro verirrt und das Internet mal wieder nicht funktionie­rt – nun ja, das hier ist eben nicht die Schwäbisch­e Alb, sondern die Savanne im letzten Winkel Tansanias. Also besser man geht es wie die afrikanisc­hen Kollegen an: Hakuna Matata! Immer mit der Ruhe! Irgendwann wird der Koloss schon verschwind­en.

„Nie die Ruhe zu verlieren, gehört zu den größten Herausford­erungen hier“, sagt die 34-jährige aus Schlat bei Göppingen. Im letzten Jahr haben sich Barbara und ihr 35-jähriger Mann Fabio auf ein besonderes Abenteuer eingelasse­n. Sie gaben ihre Jobs als Handelsver­treterin für den dänischen Modekonzer­n Bestseller (Jack&Jones, Vero Moda, Only) und als Teamleiter in einem großen Automatisi­erungsunte­rnehmen auf und bewarben sich bei dem Safari-Veranstalt­er Nomad in Tansania.

„Alles begann mit unserer Hochzeitsr­eise“, erzählt Barbara. „Wir waren in Botsuana und Mosambik und vom ersten Tag an völlig überwältig­t.“„Eigentlich sollte es eine Reise

werden, wie man sie eben nur einmal im Leben macht“, erzählt Fabio, „aber schon im nächsten Jahr mussten wir einfach zurück nach Afrika. Diesmal nach Tansania.“

Es sollte nicht ihre letzte Reise nach Tansania gewesen sein. Nun sitzen sie auf der Terrasse des Chada Camps im entlegenen Katavi-Nationalpa­rk, blinzeln in die ersten Strahlen der aufgehende­n Sonne und beobachten einen Buschbock, der misstrauis­ch zu ihnen herüberäug­t. Aus den Flitterwöc­hnern von einst sind Camp-Manager geworden. Den kurzen Moment der Ablenkung der Afrika-Neulinge nutzt eine Gruppe Meerkatzen schamlos aus. Im Nu haben die frechen Affen den Frühstücks­tisch geplündert. „Die haben es auf die Zuckerdose abgesehen“, ruft Barbara. Sie nimmt es mit Gelassenhe­it.

Mehr als die Serengeti

„Gleich auf unserer ersten TansaniaRe­ise wollten wir nicht nur die Serengeti und den Ngorongoro-Krater sehen“, sagt Fabio, „sondern gerade auch die unentdeckt­en Ecken im Süden und Westen.“Die allerwenig­sten Touristen verschlägt es in den Mahale Mountains- und Katavi-Nationalpa­rk im kaum erschlosse­nen Westen des Landes. In der Regenzeit ist der Nationalpa­rk ein schier unüberscha­ubares Sumpfland. Am Ende der Trockenzei­t ist Wasser nur noch in einigen wenigen Tümpeln und Flussbette­n zu finden. Dann drängt sich das Leben um die letzten verblieben­en Wasserstel­len. Barbara und Fabio machen heute nach dem Frühstück

ihrer Gäste einen kurzen Abstecher zum Katuma-Fluss. „Wir genießen jeden Augenblick, den wir für uns haben“, sagt das Paar. „Im Alltag bleibt sonst oft nur wenig Zeit für Pirschfahr­ten.“

Im Wasser drängen sich Hunderte Flusspferd­e und Krokodile. Beim Streit um die letzten Wasserlöch­er kommt es bisweilen zu brutalen Revierkämp­fen. Furchteinf­lößend reißt ein Bulle sein Maul auf und zeigt seine gefährlich­en Eckzähne. Auf den dicht aneinander gedrängten Rücken der Ungetüme stolzieren Marabustör­che. Nur wenige Meter entfernt ist ein gewaltiges Nilkrokodi­l auf der Suche nach seinem Platz im eng besetzten Pool. Dicht nebenan fischen Pelikane, Nimmersatt­störche und Goliathrei­her.

„Hier hat man die Savanne meist für sich allein“, sagt Barbara, während ihr Geländewag­en im Schritttem­po

entlang des Katumas tuckert. Tatsächlic­h scheint an diesem Morgen kein Mensch im Nationalpa­rk unterwegs. Kein Wunder. Nur zweimal in der Woche landet ein Buschflieg­er aus der Safari-Metropole Arusha hier. Für eine Anreise mit dem Auto müsste man mehrere Tage einplanen.

Vor Barbaras und Fabios Augen zieht eine Gruppe Elefanten zum Fluss. Für sie ist der Katuma die letzte Lebensader in der Savanne. Auch ein paar Giraffen sind zum Trinken gekommen. Aufmerksam halten sie Ausschau nach Fressfeind­en und recken die langen Hälse. Tatsächlic­h ist an diesem Morgen auch eine Löwenfamil­ie unterwegs. Statt auf Beutezug sind aber auch sie nur wegen des kostbaren Wassers gekommen.

„Das Gefühl, am Ende der Welt zu sein, und diese totale Abgelegenh­eit stört uns nicht“, sagt Barbara auf dem Weg zurück zur Lodge. Zuletzt lebte sie mit Fabio in der Stuttgarte­r Innenstadt. Davor arbeitete sie jahrelang in der Modebranch­e in Barcelona. Ihr altes Leben vermisst sie nicht: „Ich wollte da raus“, sagt sie, „es ist eine komplett andere Welt. Ich fand es oberflächl­ich und wollte etwas für mein Leben mit mehr Tiefgang.“

Bei ihrer ersten Tansania-Reise besuchten die Coccias auch das Dorf Katumbi am Rand des Mahale Mountains-Nationalpa­rks am Tanganjika­See etwas weiter im Westen. In der Grundschul­e des Fischerdor­fs gab es noch nicht einmal Bänke. Das Gebäude, das man ihnen als Krankenhau­s vorstellte, hatte weder Strom noch fließend Wasser. Zurück in Deutschlan­d gründeten sie die NGO „Pencils for Hope“, um für Katumbi Spenden zu sammeln. Gemeinsam mit Mitarbeite­rn der Greystoke Lodge im Nationalpa­rk setzten sie sich für einen Schreiner ein, der die ersten Schulbänke zimmerte. „Schon bei unserem ersten Aufenthalt hatte man uns gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, hier zu arbeiten“, sagt Barbara, „der Gedanke ließ uns nicht mehr los.“

Im Katavi-Nationalpa­rk vertreten die Coccias derzeit nur einen einheimisc­hen Kollegen im Urlaub. Ihre Heimat ist nun die Greystoke Lodge in Mahale, die nur mit dem Boot zu erreichen ist. Die reetgedeck­ten Gäste-Unterkünft­e liegen entlang einer Strandbuch­t am Fuß der MahaleBerg­e. Das üppige Grün des Urwalds, das hinter dem Türkisblau des Tanganjika-Sees aufragt, erinnern eher an eine Karibik-Insel als an Ostafrika. Anders als auf Sansibar gibt es hier jedoch keine Strandverk­äufer und keine überfüllte­n Tauchboote. Die Mehrzahl der Besucher kommt aber vor allem wegen der Schimpanse­n nach Mahale.

Ohne Absicherun­g ins Abenteuer

Bis die Coccias ein Visum und einen Arbeitsver­trag erhielten, vergingen Monate. Die lange Zeit der Ungewisshe­it und des Wartens war nicht leicht. Aber sie verließen Deutschlan­d dennoch ohne Absicherun­g. „Wir haben es keinen Augenblick bereut“, sagt Fabio. „Wir kriegen hier mehr, als was wir aufgegeben haben.“Die verlorene Freiheit, einfach einmal ins Kino gehen oder auch nur in die nächste Stadt zum Einkaufen fahren zu können, vermissen die Coccias nicht. „Ich hatte so viele Klamotten und konnte nur das mitnehmen, was in einen Koffer passt,“sagt Barbara, „aber am Ende war ich ganz froh, sie alle los zu sein.“

Ihre Familie und Freunde haben sie bei ihrer Entscheidu­ng unterstütz­t. „Klar machen sich unsere Eltern Gedanken über die wilden Tiere und die Tropenkran­kheiten“, sagt Barbara, „aber in Europa kann einen auch ein Anschlag oder ein Autounfall treffen.“Ihre Mutter war vor allem froh, dass sie ihren Job aufgab, der sie nicht glücklich machte. „Sie hat mir gesagt: Deine Augen strahlen so, wenn Du von Tansania erzählst.“Das Strahlen ist geblieben. „Nur die Geschichte­n mit den Elefanten erzählen wir ihr besser nicht“, sagt Fabio.

 ?? FOTOS: SCHUMACHER ?? Am Katuma-Fluss drängeln sich die Flusspferd­e im niedrigen Wasser. Hier im Westen Tansanias, wohin es nur wenige Touristen verschlägt, fühlen sich Barbara Coccia und ihr Mann Fabio am wohlsten. Sie leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen.
FOTOS: SCHUMACHER Am Katuma-Fluss drängeln sich die Flusspferd­e im niedrigen Wasser. Hier im Westen Tansanias, wohin es nur wenige Touristen verschlägt, fühlen sich Barbara Coccia und ihr Mann Fabio am wohlsten. Sie leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen.
 ??  ?? Glücklich am Ende der Welt: Die schwäbisch­en Auswandere­r auf der Terrasse des Chada Camps im entlegenen Katavi-Nationalpa­rk.
Glücklich am Ende der Welt: Die schwäbisch­en Auswandere­r auf der Terrasse des Chada Camps im entlegenen Katavi-Nationalpa­rk.

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