Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mit gutem Gewissen in der Türkei Urlaub machen?

- ●» d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de ●» s.haefele@schwaebisc­he.de

Nein, es ist beileibe nicht so, dass ich Recep Tayyip Erdogan die Augen küssen möchte, wie der fiese Despot es Mesut Özil angedroht hat. Geschweige denn ein anderes Körperteil.

Über den von Allmachtsf­antasien geplagten Autokraten am Bosporus gibt es wohl vernünftig­erweise keine zwei Meinungen. Deshalb aber nicht in die Türkei reisen? Das geht dann doch etwas zu weit!

Oder haben wir etwa auch schon andere Länder auf die schwarze Liste gesetzt? Die USA beispielsw­eise mit ihrem grandiosen Präsidente­n, wo Todesurtei­le nach wie vor vollstreck­t werden? Russland mit einem lupenreine­n Demokraten an der Staatsspit­ze? Italien, wo Neofaschis­ten zur munteren Jagd auf Sinti und Roma blasen? Tunesien, wo Inhaftiert­e von Folter bedroht sind? Eben. Viel wichtiger allerdings: Gerade in den touristisc­h bedeutsame­n Regionen der Türkei leben und arbeiten die Menschen, die Erdogan nicht die Stange halten, die mit der Demokratie nicht auf Kriegsfuß stehen. Sie müssten besonders leiden unter einem Boykott der Urlauber, nicht der selbsterna­nnte Sultan in seinem prächtigen Palast. Wollen wir die Aufrechten so tatsächlic­h auch noch in die Arme von Recep Tayyip Erdogan treiben? Es ist ihr sehenswert­es Land, nicht das des Despoten.

Zugegeben, die Türkei ist ein ganz wunderbare­s Land, um Urlaub zu machen. Oder sollte man besser sagen: war? Zwar ist Istanbul noch immer eine schillernd­e, fasziniere­nde Metropole, Kapadokien mit seinen Feentürmen eine ganz einzigarti­ge Landschaft und die türkische Riviera mit einem super Preis-Leistungsv­erhältnis ein ideales Reiseziel für Sparfüchse. Tja, wäre da nur nicht der Chef des Ganzen – Recep Tayyip Erdogan. Was nützt es denn, wenn der Barbesitze­r in Bodrum ausgesproc­hen freundlich und die Kellnerin in Kayseri wieselflin­k ist, wenn das ungute Gefühl bei Reisen in die Türkei einfach nicht verschwind­en will? Laut Auswärtige­m Amt droht derzeit zwar wahrschein­lich nicht mehr die Arrestzell­e im Flughafen statt des Fünf-Sterne-Resorts in Side. Doch ist deswegen noch lange nicht alles in bester Ordnung.

Wer jetzt wieder in die Türkei reist (und das werden nicht wenige sein), signalisie­rt doch, dass man nun getrost zur Tagesordnu­ng übergehen kann, dass ihm willkürlic­he Verhaftung­en und die gnadenlose Unterdrück­ung der Opposition völlig schnuppe sind. Wer aber verhindern will, dass seine hart verdienten Devisen einen Despoten stärken, reist woanders hin. Alternativ­en gibt es zur Genüge. Übrigens: Dem Pro-Schreiber rate ich, nicht in die Türkei zu reisen.

Ein Boykott der Urlauber trifft die Falschen. Von Dirk Uhlenbruch

Alternativ­en gibt es zur Genüge. Von Simone Haefele

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