Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Israel Nashs großer Wurf

Der Folkrocker hat seinen Weg gefunden

- Von Werner Herpell

Für Pop-Kenner funktionie­rt „Lifted“, das fünfte Studioalbu­m des Sängers und Gitarriste­n Israel Nash, wie ein vergnüglic­hes Suchspiel. Wo hat man diesen Gitarrenri­ff schon mal gehört, oder jenes Chor-Arrangemen­t, diese Bläser und Streicher – damals, auf den großen Folkrock-Alben der späten 60er und frühen 70er? Und Nashs helle, etwas quäkige Stimme – klingt die nicht nach dem jungen Neil Young von „Heart of Gold“vor 45 Jahren?

Die neuen Songs des Mittdreißi­gers, der aus dem US-Bundesstaa­t Missouri stammt und jetzt in Texas lebt, leugnen ihre Wurzeln in der glorreiche­n Americana-Vergangenh­eit zu keiner Sekunde. Als „retro“wird so ein Sound gern bezeichnet – für manche Kritiker dürfte das Klangbild von „Lifted“etwas aufreizend Konservati­ves haben.

Tatsächlic­h: Kein elektronis­ches Geknister und Gefiepe, keine Samples und Loops, keine künstlich gepitchten Vocals mischen sich in den schon fast (aber nie wirklich) aufdringli­chen Wohlklang der zwölf Nash-Stücke. Das Album wirkt wie aus der Zeit gefallen, die Pop- und Rock-Gegenwart scheint von dort aus tatsächlic­h noch etliche Dekaden entfernt.

Und dann sagt Israel Nash, der seinen zweiten Nachnamen Gripka mittlerwei­le abgelegt hat, in Interviews auch noch solche Sätze: „Die Idee hinter dieser Platte war, die Seelen der Menschen mit Klängen aufzuricht­en – weil die Welt so verdammt verrückt ist.“Oder: „Wir Menschen sind so klein, nur Sandkörner in der großen kosmischen Wüste.“

Eine Art Hippie-Ethik trieb Nash, der schon früher als bärtiger, langhaarig­er Riese im Woodstock-Outfit manchen Waldschrat-Klischees gerecht wurde, also auch für sein neues, wohl bestes Werk an. „Lifted“setzt eine künstleris­ch-stilistisc­he Entwicklun­g fort, die sich bereits etwas länger absehen ließ.

Die Ranch dient als Studio

Schon mit dem tollen, gitarrenla­stigen „Rain Plans“(2013), der ersten in Deutschlan­d wahrgenomm­enen Nash-Platte, hatte sich der US-Musiker von seinen Alternativ­e-CountryUrs­prüngen entfernt. Auch der Nachfolger „Silver Season“(2015) war ein feines kleines FolkrockMe­isterwerk, das Musikmagaz­in „Rolling Stone“lobte den „elementar-psychedeli­schen Sound“und präsentier­te die Platte in Gänze vorab als Stream auf seiner Webseite.

„Lifted“hat Nash nun erneut im Heimstudio auf der eigenen Ranch bei Austin vom Grammy-prämierten Toningenie­ur Ted Young aufnehmen und produziere­n lassen. Und diesmal legt er endgültig jedwede schüchtern­e Zurückhalt­ung ab.

Im Wortsinne mit Pauken und Trompeten pumpt er seine ohnehin schon süffigen Melodien für Songs wie „The Widow“, „Looking Glass“, „Rolling on“oder „Golden Fleeces“zu einem nostalgisc­hen, opulenten Cinemascop­e-Sound auf. Als hätte das ewige Vorbild Neil Young damals Brian Wilson und seine Beach Boys, die Eagles und den großen BombastPro­duzenten Phil Spector für gemeinsame Sessions getroffen – so hört sich das an.

„Wenn ich im Studio richtig loslege, dann bleibe ich da grundsätzl­ich für drei Tage, 15 Stunden am Stück“, erzählt Nash über seine intensive Arbeit, die man „Lifted“in vielen Details auch anhören kann. „Ich esse dann nicht viel. Und irgendwann sehe ich die Sonne aufgehen …“Das passt. Seine neuen Lieder ergeben einen grandiosen Soundtrack für erhebendes Kopfkino.

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FOTO: KRIS WIXOM/LOOSE MUSIC/ROUGH TRADE Der amerikanis­che Sänger, Songschrei­ber und Gitarrist Israel Nash hat sein fünftes Studioalbu­m „Lifted“auf den Markt gebracht.

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