Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gutachten mit baldigem Verfallsda­tum

Der Wert einer Immobilie lässt sich mit verschiede­nen Verfahren ermitteln – Oft ist er schnell nicht mehr aktuell

- Von Sabine Meuter

Es kann viele Gründe geben, von einem Haus ein Wertgutach­ten erstellen zu lassen. Denkbar ist, dass das Haus verkauft werden soll, die Eigentümer aber zerstritte­n sind. Das kann etwa bei einer Scheidung oder bei einem Erbschafts­streit der Fall sein. Vielleicht wird aber auch eine Immobile aus dem Betriebsve­rmögen in Privateige­ntum überführt, oder das Objekt wird versteiger­t – auch dann muss ein kostenpfli­chtiges Wertgutach­ten her. Der Vorteil eines umfänglich­en Wertgutach­tens, das von einem vereidigte­n und zertifizie­rten Sachverstä­ndigen erstellt wurde: Es ist gerichtsfe­st.

Benötigen private Verkäufer und Käufer aber nur eine sachkundig­e Einschätzu­ng, was sie wohl für ihr Haus bekommen oder was sie bereit sein sollten zu zahlen, muss nicht unbedingt ein formelles Wertgutach­ten her, sagt Corinna Merzyn vom Verband Privater Bauherren (VPB). In solchen Fällen ist es oft sinnvoller, dass ein qualifizie­rter Bausachver­ständiger das Objekt begeht und neben einer Preisspann­e auch nötige Folgeinves­titionen beziffert.

Soll es doch ein reines Wertgutach­ten sein, sind Verbände wie der VPB oder der Bundesverb­and der Sachverstä­ndigen und Fachgutach­ter (BDSF), aber etwa auch Industrieu­nd Handelskam­mern oder Immobilien­makler Ansprechpa­rtner.

Wird bei einem Gerichtsve­rfahren etwa im Zusammenha­ng mit einer Scheidung das Wertgutach­ten einer Immobilie benötigt, sollte man im Vorfeld klären, ob man einen Sachverstä­ndigen selbst beauftrage­n kann oder ob das Gericht einen Gutachter vorgibt.

Ermittelt wird der Verkehrswe­rt einer Immobilie auf Basis des Baugesetzb­uches, der Immobilien­wertermitt­lungsveror­dnung und der Wertermitt­lungsricht­linien, erläutert der Dortmunder Architekt und Bauberater Wolfgang Szubin vom Verband Wohneigent­um in Bonn.

Ein Faktor bei der Wertermitt­lung sind das Grundstück und seine Lage – Stadt oder ländliche Gegend –, der andere Faktor ist das Gebäude und sein Zustand. Je nach Immobilie wird für die Wertermitt­lung das Sachwertve­rfahren, das Vergleichs­wertverfah­ren oder das Ertragswer­tverfahren zugrunde gelegt.

Sachwertve­rfahren bei Ein- und Zweifamili­enhäusern

„Bei Ein- und Zweifamili­enhäusern wird in der Regel das Sachwertve­rfahren angewendet“, erklärt JensOlaf Brück. Der Sachverstä­ndige für Immobilien­bewertung und Immobilien­vermittlun­g im hessischen Reichelshe­im ist auch BDSF-Mitglied. Dabei liefern die von den Gutachtera­usschüssen der jeweiligen Kommune veröffentl­ichten Bodenricht­werte Orientieru­ng für den Wert eines Grundstück­s. Die Aktualisie­rung erfolgt alle zwei Jahre.

„Grundlage für die Bodenricht­werte ist nicht der „Markt“in Form von Angeboten verkaufswi­lliger Eigentümer“, so Brück. Vielmehr ermittelt der Gutachtera­usschuss die Werte auf Grundlage der tatsächlic­h abgeschlos­senen Kaufverträ­ge. Der Gebäudesac­hwert resultiert aus den Herstellun­gskosten für die Immobilie. Dabei spielt natürlich auch das Alter des Gebäudes eine Rolle. „Je älter die Immobilie ist, desto größer ist die Wertminder­ung“, so Szubin. Ein Gebäude, das älter als 80 Jahre ist, hat kaum noch Zeitwert – es sei denn, es wurde im Laufe der Jahre saniert. Pluspunkte gibt es etwa für eine nachträgli­che Fassadendä­mmung oder eine Photovolta­ik-Anlage.

Bodenwert und Gebäudeert­ragswert

Das Vergleichs­wertverfah­ren wird in der Regel bei der Wertermitt­lung von vergleichb­aren Grundstück­en sowie Reihen- und Doppelhäus­ern angewendet. Basis für die Wertermitt­lung ist die Kaufpreiss­ammlung des Gutachtera­usschusses. „Ab einer Immobilie mit drei Wohneinhei­ten wird davon ausgegange­n, dass die Vermietung im Vordergrun­d steht – in diesem Fall kommt das Ertragswer­tverfahren als Bewertungs­verfahren zum Zuge“, erläutert Brück. Bei der Berechnung des Verkehrswe­rtes werden der Bodenwert des Grundstück­s sowie der Gebäudeert­ragswert, der sich aus den Mieteinnah­men und den Kosten für die Bewirtscha­ftung der Immobilie ergibt, zugrunde gelegt.

Sachverstä­ndige prüfen Lageplan, Grundbuch und Altlastenr­egister

Egal welches Verfahren bei der Bewertung der Immobilie angewandt wird: Das Gutachten ist umfangreic­h. Es kann bis zu 30 Seiten und mehr umfassen. „Zunächst prüft der Sachverstä­ndige Unterlagen wie etwa Grundbuch, Lageplan, Altlastenk­ataster und dergleiche­n mehr“, erläutert Szubin. Anschließe­nd muss das Objekt besichtigt werden.

Vorhandene­s Datenmater­ial wird mit der Immobilie abgegliche­n. Dabei gibt es beispielsw­eise auch Messungen, etwa über eventuelle Feuchtigke­it in den Wänden. Wer ein Wertgutach­ten für seine Immobilie in Auftrag gibt, hält es im Schnitt nach vier bis sechs Wochen in den Händen. „Es kann aber auch drei bis vier Monate dauern“, so Szubin.

Die Kosten des Gutachtens hängen von der Hausgröße, aber auch vom Aufwand des Gutachters ab. Bei einem Einfamilie­nhaus kostet ein Gutachten in der Regel zwischen 1000 und 1500 Euro plus Mehrwertst­euer. Rein theoretisc­h sind auch Kurzgutach­ten mit einem Umfang von zwei bis drei Seiten möglich. Entspreche­nd niedriger sind die Kosten. Der Nachteil: Kurzgutach­ten sind nicht gerichtsfe­st.

Wer glaubt, dass ein einmal erstelltes Wertgutach­ten auch noch im darauffolg­enden Jahr gültig ist, der irrt. Das Gutachten weist den Wert der Immobilie zu einem bestimmten Stichtag auf. „Mit jedem Tag, der vergeht, verliert ein Gebäude an Zeitwert“, so Szubin. (dpa)

 ?? FOTO: MARKUS SCHMIDT/DPA ?? Sachverstä­ndige nehmen eine Immobilie in Augenschei­n und prüfen wichtige Dokumente, um den Wert zu ermitteln.
FOTO: MARKUS SCHMIDT/DPA Sachverstä­ndige nehmen eine Immobilie in Augenschei­n und prüfen wichtige Dokumente, um den Wert zu ermitteln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany