Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wenn emotionaler Pop zur Bestimmung wird
Deutschpopbarden haben nichts Nennenswertes zu erzählen? Benne beweist das Gegenteil
BADEN-BADEN - Einerseits, sagt Benedikt Ruchay alias Benne, sei es eine ganz schön schwere und emotionale Aufgabe gewesen, dieses Album zu machen, das am 3. August erscheint. Andererseits habe er aber beruflich wohl noch nie etwas Schöneres und Beglückenderes erlebt als jene anderthalb, zwei Jahre, in denen er „Im Großen und Ganzen“aufnahm. „Ich wollte nichts zurückhalten und mich auf dieser Platte wirklich so präsentieren, wie ich bin“, sagt Benne. „Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen ist schmerzhaft, aber unverzichtbar, wenn man sich als Musiker und als Mensch weiterentwickeln will.“
Was Benne über sich gelernt habe? „Dass es einem gleichzeitig gut und schlecht gehen kann.“Zum Beispiel in der Liebe. Eine Trennung hat er hinter sich, sie spielte sich mitten während des Songschreibens für „Im Großen und Ganzen“ab. „Die Beziehung war intensiv, und wir hatten große Pläne. Aber es gab den Punkt, an dem ich merkte: Das wird nichts.“Das Loslassen hätten beide als befreiend empfunden, und zugleich sei es dem Paar schwergefallen. Selbst als die Beziehung schon einvernehmlich beendet war, spekulierten Benne und Freundin immer noch ein bisschen darauf, dass sie wieder zusammenfinden würden. „Doch irgendwann nach langem Hin- und Hergerissensein habe ich gespürt, dass es nicht funktioniert und auch nie funktionieren wird.“„Zu früh, zu spät“heißt der Song, der am Unmittelbarsten dieses intensive Auseinandergehen behandelt, und als Benne die neuen Lieder kürzlich in kleinem Rahmen erstmals live präsentierte, war die Ex-Freundin sogar im Publikum. In „Nie passiert“setzt sich Benne sehr selbstkritisch mit der Trennung auseinander, die er während des Albumschreibens durchlebte.
Benne ist 28 Jahre alt und kommt gebürtig aus Heilbronn, genauer gesagt aus Oedheimer. So trostlos wie sein Name sei der Ort, eigentlich eine natur-üppige Ansammlung von Dörfern, zum Glück nicht. „Ich war als Kind und Jugendlicher total viel draußen und außerdem schnell in Stuttgart“. Inzwischen lebt er in Berlin. Sein Credo: „Ich bin ein Freund davon, sich auf die positiven Sachen in seinem Leben zu konzentrieren. Doch ich halte nichts davon, immer alles Negative wegzuschieben, so wie es in den sozialen Medien üblich ist“. Jetzt schimpft er fast. „Ich sehe es mit gewissen Bauchschmerzen, dass da eine nach Zustimmung und Likes süchtige Generation aufwächst, die nicht mehr damit klarkommt, mal anzuecken oder auch mal Widerspruch zu erfahren.“Deutsch-Poet Benne geht stattdessen dorthin, wo es unbequem ist. „Bis zum tiefsten Punkt“ist der persönlichste und emotionalste Song des Albums. Auf den Titel kam er während eines Schnuppertauchkurses auf Bali im vergangenen Jahr, inhaltlich spricht er unter anderem über die Alkoholsucht seines Vaters, „die meine Kindheit und Jugend ziemlich mitgeprägt hat“. „Da überlegt man natürlich schon, ob man nicht doch zu viel preisgibt“, so Benne. „Für mein Bauchgefühl ging das aber in Ordnung“. Für den Vater übrigens auch.
Benne, der an der Popakademie in Mannheim studierte, 2015 und 2016 zwei mittelerfolgreiche Platten veröffentlichte und Damien Rice als sein großes Vorbild bezeichnet, ist aber sicher kein Miesepeter. „Licht in uns“, die Single, huldigt „dem Potenzial, das in uns steckt, um wirklich glücklich zu sein und schöne Dinge zu tun.“Im Text geht es um viele der Fragen, die aktuell nicht nur Benne beschäftigen – Was hält uns Menschen zusammen? Wie gehe ich mit Rückschlägen um? Wie wird man glücklich oder wenigstens glücklicher? „Du brauchst ein gewisses Vertrauen in dich selbst und musst auch mal zulassen, wenn im Leben Scheiße passiert“, hat Benne erkannt.
Auf der Suche nach dem Selbst
Er selbst ging nach dem Abitur auf große Reise, arbeitete ein halbes Jahr in einem argentinischen Waisenhaus und war anschließend noch weiter in Südamerika unterwegs, Selbstsuche und Selbstfindung hieß die Devise. „Man weiß nicht auf Knopfdruck, was man in seinem Leben machen will“, sagt er. „Es ist ein Prozess.“Benne hat mit seinem klugen, emotionalen Pop-Album seine Bestimmung gefunden. Er weiß, ein paar Songs sind extra so produziert, dass sie gut im Radio laufen könnten, er will von seiner Musik leben können, aber ein neuer, mit abwaschbaren, nie wehtuenden Allgemeinplätzen langweilender 08/15-Sänger will er nicht werden. „Es ist nicht mein Anspruch, das Rad neu zu erfinden“, so Benne. „Es ist mein Anspruch, mich selbst und andere mit meinen Liedern zu berühren.“