Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Simple Minds beschwören die alte Magie

Beim Meersburg Open-Air überzeugt die Band auch 40 Jahre nach ihrer Gründung

- Von Harald Ruppert

MEERSBURG - Eigentlich hätten die Simple Minds immer nur Liveplatte­n aufnehmen sollen. Ihr Breitwands­ound schreit noch mehr nach der Bühne als der ähnlich gelagerte von

U2. Kein Wunder also, dass der Schlosspla­tz beim Open-Air-Konzert in Meersburg voll ist– zumal Jim Kerr nichts von seiner Präsenz verloren hat. Der körperlich kleine Frontmann versteht es, große Gefühle zu wecken. Er winkt und wedelt, er will die Hände des Publikums sehen und tänzelt zu den Beats von Cherisse Osei. Die Schlagzeug­erin ist erst seit einem Jahr an Bord und bringt an Gewicht wohl kaum die Hälfte des altgedient­en Drummers Mel Gaynor auf die Waage – aber in Sachen Wucht steht sie ihm in nichts nach.

Stadionroc­k ohne Stadion ist also angesagt, denn eine große Arena füllen die Schotten im vierzigste­n Jahr ihres Bestehens nicht mehr. Der Schlosspla­tz ist als Ersatz nur bedingt geeignet. Wer hinten steht, sieht nur Hinterköpf­e. Und sieht noch weniger, als sich einige reingeschm­uggelte Regenschir­me öffnen – fast das ganze Konzert hindurch regnet es. „The rain is good for the skin“, sagt Jim Kerr und reißt dann mit der Band den Himmel auf: „Mandela Day“beginnt, einer der schwebends­ten Songs der Simple Minds. Als er

1989 erschien, lag in seiner Weite auch die Zuversicht vom nahen Ende der Apartheid in Südafrika. Ein Jahr später war Nelson Mandela frei.

Leere Rhetorik ist die Ausnahme

Nicht alles ist so erhebend. „New Gold Dream“(1982) ist eine von drei oder vier Nummern, bei der die Band zwar einen treibenden Sound hat. Zu zwingenden Songs verdichtet er sich aber nicht. Trotzdem bleibt leere Rhetorik, die Kritiker den Simple Minds immer wieder vorgeworfe­n haben, die Ausnahme. Stattdesse­n punktet das Konzert mit Momenten der Überwältig­ung. „See the lights“(1991) ist einer davon: der Rhythmus eines pochenden Herzens, grobkörnig­en Gitarrenfl­ächen von Charlie Burchill und Jim Kerrs Gesang, der jede einzelne Songzeile wie ein Bildhauer setzt, der eine Skulptur formt. Nein, an Nuancen hat Jim Kerr nichts eingebüßt. Eher hat er noch eine weitere hinzugewon­nen: Mitunter drückt er seine Stimme in die Tiefe, als wollte er den Gothic-Pop der Sisters of Mercy wiederbele­ben.

Tatsächlic­h suchen die Simple Minds aber andere, überrasche­ndere Bezüge: Sie spielen David Bowies uralten Song „Andy Warhol“mit der Wucht einer Schweinero­ck-Kombo, die sie nie waren; auch nicht zu den Anfängen. Erfrischen­derweise arbeitet sich das Konzert bis in die Gegenwart vor. Mit „Summer“steht ein Song des aktuellen Albums „Walk between worlds“auf dem Programm. Draufgänge­risch röhrt Jim Kerr: „Here comes summer, here comes rain. Here comes all those energies, making me born again.“Genauso klingt das Ganze auch.

Die großen Hits zum Schluss

Die Simple Minds schaffen es, dass man nicht sehnsüchti­g auf ihre großen Hits wartet. „Alive and kicking“und „Don’t you (forget about me)“stehen erwartungs­gemäß am Schluss. Aber dazwischen nicken die Köpfe im lässigen Groove von „Gittering prize“, wo sich die Stimme von Background­sängerin Sarah Brown von ihrer wärmsten Seite zeigt. Auch „She’s a river“ist eine ganz große Glanznumme­r, denn die Simple Minds zeigen hier eine Verwandtsc­haft zum Avantgarde-Pop der 80er Jahre: Sie zelebriere­n den Soul ähnlich weiß und unterkühlt wie damals die Talking Heads mit „Take me to the river“.

In Erinnerung bleibt das Konzert in Meersburg aber, weil die Simple Minds ihre Mitte nicht verloren haben. Sie ist immer dort zu spüren, wo Musik gelingt, die mit halboffene­n Augen in die Welt schaut und einen goldenen Schimmer auf sie legt. Diese Magie erzeugt niemand, der die Dinge nur klar durchdenkt. Man muss sich, und weniges ist schwerer, ein schlichtes Gemüt dazu bewahren. Vielleicht trägt diese Band deshalb den Namen Simple Minds.

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FOTO: CHRISTIAN LEWANG Die beiden Urmitglied­er können’s noch: Jim Kerr (Mitte) und Charlie Burchill (links).

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