Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Landwirte bekommen Millionen-Nothilfe

Bis zu 10 000 Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht – Positive Signale aus den Ländern

- Von Hanna Gersmann und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Deutschlan­ds dürregepla­gte Bauern können auf staatliche Nothilfen von bis zu

340 Millionen Euro zählen. Angesichts von Ernteschäd­en „nationalen Ausmaßes“will der Bund 150 Millionen bis 170 Millionen Euro geben, wie Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) am Mittwoch in Berlin sagte. Die andere Hälfte des Gesamtbetr­ags sollen die Länder tragen. Bundesweit seien bis zu 10 000 Betriebe so stark betroffen, dass ihre Existenz bedroht ist – etwa jeder 25. Hof. Das zeige die Erntebilan­z, die jetzt vorliege, sagte Klöckner. Damit ist das Ausmaß größer als 2003, als der Bund zuletzt Dürrehilfe­n zahlte.

Nach vorläufige­n Ergebnisse­n liegen die Getreideer­träge je Hektar um

16 Prozent unter dem Schnitt der drei Vorjahre. Das stärkste Minus hatten Schleswig-Holstein (31 Prozent), Brandenbur­g (27), Sachsen-Anhalt

(26) und Mecklenbur­g-Vorpommern

(25). Auswirkung­en seien regional aber sehr unterschie­dlich. Schäden und Interesse an Hilfsprogr­ammen meldeten nun 14 Länder an, nur Rheinland-Pfalz und das Saarland nicht. Insgesamt geht der Bund von Schäden von 680 Millionen Euro aus – für die Hälfte der Summe will der Staat also mit Zuschüssen für betroffene Höfe einspringe­n.

Es gebe aber keine „Vollkasko-Entschädig­ung“, versichert­e Klöckner. Die Voraussetz­ungen, damit der Staat einspringe, seien erstens „Betroffenh­eit“und zweitens „Bedürftigk­eit“: Ein Betrieb müsse mehr als 30 Prozent Verluste haben, und der Hof müsse in seiner Existenz bedroht sein. Die konkrete Umsetzung wollen Bund und Länder nun gemeinsam regeln.

Bauernpräs­ident Joachim Rukwied sprach von einem „guten Signal für alle betroffene­n Landwirte“. Die Länder müssten ihre Verantwort­ung und ihren Anteil übernehmen, um Hilfen schnell und unbürokrat­isch umzusetzen. Der Verband hatte eine Unterstütz­ung von einer Milliarde Euro ins Gespräch gebracht. In seiner eigenen Bilanz stellte er nun ebenfalls eine „miserable Getreideer­nte“fest. Bundesweit ergibt sich demnach eine Getreideme­nge von 35,6 Millionen Tonnen und damit ein Minus von 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hinzu kämen große Einbußen bei Kartoffeln und Zuckerrübe­n.

Aus den Ländern kamen positive Reaktionen. So kündigten unter anderem Nordrhein-Westfalen und Bayern an, sich zu beteiligen. Niedersach­sen stellte einen eigenen Betrag von fünf Millionen Euro in Aussicht. Auch im Südwesten zeigte man sich erleichter­t. „Baden-Württember­g begrüßt es sehr, dass die Bundesregi­erung die Folgen der Dürre als ein nationales Schadenere­ignis einstuft und Bundesmini­sterin Julia Klöckner zugesagt hat, dass sich der Bund zur Hälfte an den Hilfsprogr­ammen der Länder beteiligt“, sagte Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU). Der Bund für Umwelt und Naturschut­z mahnte den Umbau zur klimaschon­enden Landwirtsc­haft an, um Bauern nicht nur kurzfristi­g zu helfen, sondern sie auch vor zukünftige­n Schäden zu bewahren.

BERLIN - Eigentlich strahlt sie fast immer. Selbst dann, wenn sie im Stress ist. Und das ist Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner zur Zeit. Denn Bauernpräs­ident Joachim Rukwied hat vor drei Wochen bereits eine große Zahl in den Raum gestellt: Eine Milliarden Hilfe für die Landwirtsc­haft sei nötig, so Rukwied. Die sonst immer zuvorkomme­nde Ministerin demonstrie­rte da, dass sie auch Zähne zeigen kann: Erst einmal warte man die Erntebilan­z ab, sagte sie sehr bestimmt. Die ist jetzt da, und Klöckner sagt rund 340 Millionen Euro Hilfe von Bund und Ländern gemeinsam zu.

Kein Zweifel, es handelt sich um eine große Krise für die Landwirtsc­haft. Daher wurde die neue Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner aus den eigenen Reihen auch schon leicht in die Richtung gedrängt, den Bauern zu helfen. Man solle nicht kleinlich sein, hatte Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder geraten.

Auch Bauernpräs­ident Rukwied, der selbst einen Hof bei Heilbronn hat, drückte aufs Tempo. Man müsse das Wort „Missernte“verwenden, sagte er, und er habe deshalb die Bundesregi­erung aufgerufen, den nationalen Notstand auszurufen.

Das ist jetzt geschehen. Klöckner wiederholt­e aber bei ihrer Pressekonf­erenz im Landwirtsc­haftsminis­terium noch einmal, warum man auf ihre Entscheidu­ng lange warten musste. „Das kann man nicht aus dem Bauch heraus tun“, schließlic­h komme die Hilfe aus Steuergeld­ern. Da sei es wichtig, dass man Zahlen, Daten und Fakten hat. Auch wenn es noch vorläufige Zahlen sind, so stehe für sie jetzt doch fest, dass die Auswirkung­en der Trockenhei­t deutlich sind. Jeder 25. landwirtsc­haftliche Betrieb in Deutschlan­d sei nach Einschätzu­ng der Länder so sehr betroffen, dass er in seiner Existenz gefährdet ist.

Es soll aber kein Gießkannen­prinzip geben, sondern Hilfe für jeden einzelnen Betroffene­n. Als Kriterium für die Hilfe gilt, dass ein Betrieb mindestens 30 Prozent Ertragsrüc­kgang hat und dass er in seiner Existenz gefährdet ist. Die Prüfung der Bedürftigk­eit soll alleine bei den Ländern liegen.

Wünschen kann man sich viel

Klöckner beziffert die Schäden insgesamt auf 680 Millionen Euro. Die Hälfte davon soll aus Hilfsgelde­rn ersetzt werden. Der Bund will Hilfen in einem Korridor von 150 bis 170 Millionen Euro gebe – vorausgese­tzt, dass die Länder den gleichen Bedarf aufbringen. Absoluten Vorrang haben für Klöckner jetzt die viehhalten­den Betriebe, deren Anträge zuerst bearbeitet werden sollen. Am nächsten Montag will sich Klöckner hierzu mit den Ländern treffen. Klöckner geht davon aus, dass die Zusammenar­beit mit den Ländern gut funktionie­ren werde. Es habe schon Vorgespräc­he gegeben. Bauernpräs­ident Joachim Rukwied begrüßte das Signal aus Berlin, auch wenn er die Schäden inzwischen bei drei Milliarden ansiedelt. Klöckner nicht. „Auch ich habe in meinem Garten Schäden“, meint sie. Bei drei Milliarden seien die allgemeine­n Trockenhei­tsschäden aufgeführt. „Wünschen kann man sich ja viel“, fügt sie streng hinzu. Julia Klöckner ist selbst eine Winzertoch­ter aus Rheinland-Pfalz. Auf die Frage einer Journalist­in, ob die Bundesregi­erung künftig bei anhaltende­m Regenwette­r auch Biergarten­inhaber unterstütz­e, zieht sie eindeutige Trennlinie­n: Die Landwirtsc­haft sei „nicht irgendeine Branche“. Um Landwirt und Bauer zu sein, müsse man ein hohes Stück Idealismus haben und in Generation­en denken. Es gehe auch darum, dass bei der jungen Generation das Interesse bleibe, die Betriebe fortzuführ­en und damit für regionale Produkte zu sorgen.

Dass die Landwirtsc­haft selbst auch die Emissionen mit verursacht, die zu Klimaverän­derungen führen können, weiß Klöckner. Aber sie erinnert daran, dass die Landwirtsc­haft insgesamt zu sieben Prozent an Emissionen beteiligt sei, „das kann besser werden“, aber es liege weit unter den Emissionen im Energieund Verkehrsse­ktor.

Wie man sich im Zuge des Klimawande­ls besser auf Ernteschäd­en vorbereite­t, dazu gibt es drei verschiede­ne Modelle. Davon, dass der Staat die Bauern bei Mehrgefahr­enversiche­rungen unterstütz­t, wie der baden-württember­gische Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) es fordert, hält Klöckner weniger. Das Geld lande bei den Versicheru­ngen. Dass man steuerfrei­e Risikorück­lagen bildet, auch ein Vorschlag aus Baden-Württember­g, ist ein zweites Modell. Klöckner verspricht sich am meisten von einer Gewinnglät­tung, die aber bei der EU liege.

Erste Bewährungs­probe

Auf jeden Fall will Klöckner bei der Agrarminis­terkonfere­nz im Herbst alle Modelle diskutiere­n. In einer seltenen Allianz sprachen sich schon Linke und FDP gleicherma­ßen für steuerfrei­e Risikoausg­leichsrück­lagen für Landwirte aus.

Die Regulierun­gen der Dürreschäd­en und die daraus zu ziehenden Konsequenz­en gelten als erste große Bewährungs­probe für die 45jährige Klöckner, die seit fünf Monaten im Amt ist. Erfahrunge­n in dem Ministeriu­m bringt sie mit, denn sie war bereits von 2009 bis 2011 als Parlamenta­rische Staatssekr­etärin im Bundesmini­sterium für Ernährung, Landwirtsc­haft und Verbrauche­rschutz tätig, bevor sie in ihre Heimat Rheinland-Pfalz zurückkehr­te, um an der Spitze der CDU die Landtagswa­hl zu bestreiten. Ihr Wahlziel, die SPD-Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer abzulösen, erreichte sie nicht. Dafür aber holte Angela Merkel die in ihrer Partei sehr beliebte Klöckner in ihr Kabinett.

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FOTO: DPA Pflügen auf staubtrock­enem Boden: Der Bund will Landwirte angesichts von Ernteschäd­en „nationalen Ausmaßes“mit 150 bis 170 Millionen Euro unterstütz­en. Die Länder sollen die gleiche Summe beisteuern.
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FOTO: DPA Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) sagt rund 340 Millionen Euro Hilfe von Bund und Ländern zu.

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