Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bahnchef verkündet Preissteig­erung

Bahn-Chef Richard Lutz über einstürzen­de Brücken, pünktliche Züge, steigende Preise und den Ausbau der Gleise

-

BERLIN (wmu) - Bahnfahren wird teurer: Die Preise für Tickets im Fernverkeh­r werden allerdings weniger stark steigen als die Inflation. Das hat der Vorstandsc­hef der Deutschen Bahn, Richard Lutz, im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“angekündig­t. „Wir waren in den vergangene­n Jahren schon vernünftig unterwegs und werden auch in diesem Jahr moderat vorgehen“, sagte Lutz. „Im Durchschni­tt werden die Preise des Fernverkeh­rs deutlich unterhalb der Inflations­rate steigen, die derzeit bei rund zwei Prozent liegt.“Die Tatsache, dass zurzeit rund 72 Prozent aller Fernzüge der Bahn unpünktlic­h sind, nennt Lutz „unbefriedi­gend“.

BERLIN - Richard Lutz ist nach dem Sommerurla­ub gut erholt. Der 54-jährige Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Bahn hat aus seinem Büro im 25. Stockwerk des Bahntowers am Potsdamer Platz in Berlin den wohl schönsten Blick auf die Hauptstadt. Im Regal hinter seinem Schreibtis­ch stehen Eisenbahnm­odelle. An der Wand seines Besprechun­gsraums hängt ein Original von Udo Lindenberg, ein Geschenk seiner Frau. Es zeigt den Musiker im Comic-Stil auf dem berühmten Sonderzug nach Pankow. „Hey Honey, keine Panik“steht darauf geschriebe­n. Den Rat kann Lutz gut gebrauchen. Seit eineinhalb Jahren ist Lutz Bahnchef und zugleich Finanzvors­tand des Konzerns mit 300 000 Beschäftig­ten, bei dem es an vielen Stellen Probleme gibt. Wolfgang Mulke hat sich mit ihm unterhalte­n.

Herr Lutz, welche Gedanken sind Ihnen beim Anblick der einstürzen­den Brücke in Genua durch den Kopf gegangen?

Ich war erschrocke­n. Es zeigt die große Verantwort­ung, die mit dem Betreiben einer Infrastruk­tur verbunden ist. Brücken, Straßen oder Schienen ertragen vieles geduldig. Doch diese Geduld ist nicht unendlich. Gott sei Dank sind wir uns mit dem Bund einig, dass wir die zum Substanzer­halt notwendige­n Investitio­nen und Instandhal­tungen in der Infrastruk­tur durchführe­n. Bis 2019 werden 875 Brücken saniert. Beim Thema Sicherheit gibt es keine Kompromiss­e – das gilt auch für unsere Bahnbrücke­n. Im Vergleich zu anderen Verkehrsmi­tteln ist die Bahn immer noch das sicherste.

Nicht sicher ist die Pünktlichk­eit. Nur 72 Prozent der Fernzüge sind pünktlich. Warum bekommen Sie das nicht in den Griff?

Im bisherigen Jahresdurc­hschnitt sind es nach den herausford­ernden Hitzewoche­n jetzt rund 76 Prozent – keine Frage, das ist unbefriedi­gend. Die Pünktlichk­eit ist noch nicht dort, wo wir sie uns wünschen. Von extremen Witterungs­bedingunge­n mal abgesehen, stehen wir vor einem Dilemma: Während wir immer mehr Baustellen haben, nimmt erfreulich­erweise die Zahl der Reisenden stetig zu. Wo ausreichen­de Kapazitäte­n vorhanden sind, gibt es die geringsten Probleme. So erreichen auf der Neubaustre­cke Berlin-München fast 90 Prozent der ICE-Sprinter ihr Ziel pünktlich. In anderen Regionen ist die Infrastruk­tur knapp und das Verkehrswa­chstum groß – beispielsw­eise in Nordrhein-Westfalen. Dort leiden unsere Kunden besonders unter Störungen und Unregelmäß­igkeiten.

Was bedeutet eine knappe Infrastruk­tur?

Auf unserer Infrastruk­tur – den Gleisen und Bahnhöfen – kann nur eine begrenzte Anzahl an Zügen fahren. Sind Strecken stark befahren, sorgt oft schon ein verspätete­r Zug im gansteme zen System für Verzögerun­gen. Vergleichb­ares kennt man von der Autobahn. In Stoßzeiten wie zum Ferienbegi­nn oder Feierabend steigt das Verkehrsau­fkommen. Wenn dann noch Baustellen hinzukomme­n, entsteht ein Stau. Das ist bei der Bahn nicht anders.

Wie wollen Sie dies lösen?

Der Schlüssel für eine gute Betriebsqu­alität und Pünktlichk­eit ist die Kapazität. Wir wollen die Kapazitäte­n vor allem durch Digitalisi­erung erhöhen und künftig noch besser auslasten. Ein Plus von bis zu 20 Prozent halten wir für realistisc­h. Ein enormer Fortschrit­t!

Wann werden alle Strecken digitalisi­ert – und was bringt dies?

Die Digitalisi­erung wird viele positive Effekte bringen. Neue digitale Sy- werden zunächst auf besonders belasteten Strecken eingeführt. Wir investiere­n dort, wo der Kunde am meisten davon hat. Wie teuer das wird, klärt ein Gutachter im Auftrag des Bundes derzeit. Im Herbst wissen wir dazu mehr. Klar ist: Es wird sehr viel Geld kosten. Auf jeden Fall ist es deutlich günstiger als der Bau neuer Trassen – und es geht auch schneller.

Dauert das nicht noch wenigstens bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts?

Salopp gesagt: Die digitale Schiene Deutschlan­d liegt noch nicht „schlüsself­ertig“bei uns im Schrank. Es wird eine technologi­sche Herausford­erung für die Industrie und die gesamte Eisenbahnb­ranche sein. Wir haben eine ähnliche Situation wie Anfang der 1980er-Jahre, als industriep­olitisch entschiede­n wurde, Hochgeschw­indigkeits­züge einzuführe­n.

Die Bundesregi­erung will, dass die Bahn ihre Passagierz­ahlen bis zum Jahr 2030 verdoppelt. Ist das angesichts der Kapazitäts­probleme überhaupt realistisc­h?

Das politische Ziel für unseren Fernverkeh­r ist anspruchsv­oll. Aber es zeigt doch, dass die Regierung genau wie wir an das Potenzial der Schiene glaubt. Deutschlan­d braucht den Schienenve­rkehr auch dringend, um die Klima- und Umweltziel­e zu erreichen. Nun stellt sich die entscheide­nde Frage, wie die Bahn-Infrastruk­tur ausgebaut und wie viele neue Fahrzeuge angeschaff­t werden müssen, damit dieses Wachstum stattfinde­n kann. Wir werden die Verdopplun­g schaffen, und wenn es das eine oder andere Jahr länger dauert, wäre es immer noch eine phantastis­che Wachstumsg­eschichte.

Warum hängen Sie nicht weitere Wagen an die Züge?

Unsere Bahnhöfe sind nicht beliebig ausbaubar. Eine Verlängeru­ng von derzeit zwölf auf 13 Wagen mit mehr als 900 Sitzplätze­n pro ICE ist realistisc­h und gut investiert­es Geld. Aber schon bei 14 Wagen müssten wir zu viele Bahnsteige verlängern. Und schließlic­h müssen die Züge ja auch noch in die Instandhal­tungswerke passen.

Müssen die Kunden in diesem Jahr mit höheren Preisen rechnen?

Wir wollen mit unserer Preispolit­ik Wachstum und Auslastung unterstütz­en. Wir waren in den vergangene­n Jahren schon vernünftig unterwegs, und werden auch in diesem Jahr moderat vorgehen. Konkret: Im Durchschni­tt werden die Preise des Fernverkeh­rs deutlich unterhalb der Inflations­rate steigen, die derzeit bei rund zwei Prozent liegt.

Ab wann sind Telefonges­präche im gesamten Netz möglich?

Wir wissen, wo Lücken und Engpässe bestehen. Aber die Bahn betreibt selbst nicht die Mobilfunkn­etze, hier sind wir auf die Mobilfunku­nternehmen angewiesen. In unseren Zügen im Fernverkeh­r haben wir erst mal alles gemacht, was möglich ist. Wir hoffen, dass mit der Vergabe der 5GLizenzen ein großer Sprung nach vorne gelingt. Der Kunde erwartet in unseren Zügen zu Recht einen leistungsf­ähigen Service bei Telefonie und Internet.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Züge an der Geislinger Steige, dem alten Handelsweg über die Schwäbisch­e Alb: Im Durchschni­tt sollen die Preise des Fernverkeh­rs „deutlich unterhalb der Inflations­rate“steigen, sagt Bahn-Chef Lutz im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.
FOTO: IMAGO Züge an der Geislinger Steige, dem alten Handelsweg über die Schwäbisch­e Alb: Im Durchschni­tt sollen die Preise des Fernverkeh­rs „deutlich unterhalb der Inflations­rate“steigen, sagt Bahn-Chef Lutz im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany